Freitag, 25. November 2005
erinnerungen
es ist ja so, dass in krankenhäusern angeblich chronischer bettenmangel herrscht hier in wien, und es deshalb sehr lange dauert bis man ein freies bett bekommt.

deshalb hat ja auch frau kelef trotz der ausgesprochenen dringlichkeit der operation zweieinhalb wochen auf ein freies bett warten müssen.

deses stand dann in einem sehr netten, modern eingerichteten dreibettzimmer, sogar mit kabelfernsehen, ein ganz neues bad mit extra wc nebenan, reichlich frische handtücher, neckische krankenhaushemdchen, alles da, konnte man nicht meckern.

frau kelef wurde das bett neben der zimmertür zugewiesen, das mit dem kaputten mechanismus. das mittlere bett war leer, im dritten lag ein gar verhutzeltes altes weiblein.

dieses hatte seine operation schon hinter sich - irgendwas an einer beinvene. sie lebte schon lange in einem pflegeheim, war quasi nur zu servicezwecken ins krankenhaus überstellt worden, dort hatte man die venensache festgestellt und gleich repariert.

sie war 95 jahre alt, bettlägerig seit jahren, und so klein dass man sie in ihrem bett gar nicht richtig sehen konnte. aufstehen konnte sie gar nicht, aufsetzen ging nur mit hilfe des bettmechanismus, in diesem fall elektrisch und funktionierend.

so lag sie da in ihrem bettchen, die oma, und schaute mit oder ohne brille - je nachdem, ob sich jemand ihrer erbarmte und diese aus der nachttischlade nahm und auf ihre nase tat oder nicht - einfach irgendwohin. zu den mahlzeiten wurde sie hochgekippt, dann bekam sie ihr essenstablett neben das bett gestellt, und dann - geschah nichts. hat frau kelef ihr eben das essen so vorbereitet, dass sie dann selber essen konnte, oder sie gefüttert (suppe konnte sie nicht alleine). frau kelef hat auch die schwester gerufen, wenn eine säuberungsaktion notwendig war, und die oma gefragt ob sie was trinken will und so.

beklagt hat sie sich nie, auch nicht gejammert, wenn man sie fragte ob sie schmerzen hätte sagte sie ja, dann bekam sie eben eine injektion, dann war wieder gut.


erst wenn es dunktel wurde draussen wurde sie gesprächig. sehr leise - man musste wirklich gut aufpassen um zu verstehen - sprach sie von und mit allen möglichen menschen, und lebte irgendwie ihr leben noch einmal.

sie "erzählte" von ihren vier kindern, von ihrem mann, der aus dem krieg nicht zurückgekommen war. von ihrem lebensgefährten, den sie dann hatte wegen des bauernhofs, weil sie doch die arbeit nicht alleine machen konnte. sie zählte das brot, das reichen musste für die kinder und "den mann". "der mann" hat manchmal getrunken, im ort haben die leute zu ihm gesagt er könnte doch eine bessere, jüngere und eigene kinder haben, da hat er dann gestritten mit denen und zu tief ins glas geschaut. weil, er hat sie doch sehr gern gehabt, und um die kinder hat er sich auch gekümmert. ist aus allen was geworden, aus allen vieren.

wie die nazis gekommen sind, hat man alles verstecken müssen, denen hat man nicht trauen können. und wie dann die besatzung war, hat man das was noch übrig war auch verstecken müssen. und nach dem krieg hat man das holz zum einheizen verstecken müssen, sonst war es weg. aber der mann hat das gemacht, frieren mussten sie nie. buchenscheiten, ganz trockene, hat er gebracht, er hat ihr aber nie gesagt woher.

der älteste bub, der hat ihr sorgen gemacht weil er, wenn er hunger gehabt hat, schon manchmal wo was gestohlen hat. da hat sie ihn dann im finsteren in den rübenkeller gesperrt, das tut ihr heute noch leid, das hätte sie nicht tun sollen. aber damals war das so, hätte sie es nicht getan, wären die leut' im ort noch viel böser zu ihr gewesen. die haben sowieso gesagt, dass sie eine hur' ist, weil sie den mann gehabt hat, und ihr mann war doch nur vermisst. aber sie hat gewusst, dass er nicht mehr zurückkommt, sie war in der kirche und hat den herrgott gefragt, und dann hat sie gespürt dass sie nichts falsches tut wenn sie den mann nimmt und wenn sie glaubt, dass ihr mann nicht wiederkommt. und er ist ja auch nicht wiedergekommen, aber sie hat es nie schriftlich bekommen dass er tot ist. und die kinder waren ja da, und der hof.

dass die leut' heute nicht wissen was man alles essen kann. im krieg, bevor der mann da war, da hat sie den kindern oft eine suppe aus sachen von der wiese gekocht, und dann brot hineingebröckelt, damit die was im magen gehabt haben. kaffee hat sie damals lange keinen getrunken, da hat sie ganz vergessen wie der schmeckt, wie gut, so ein kaffee mit milch, oder gar mit einem schlagobers.

so viel gewand, wie die leut' heut' glauben dass sie brauchen, das ist auch nicht richtig. das ist gar nicht notwendig. für den sonntag, da muss man ein schönes gewand haben für wenn man in die kirche geht, das muss sein. und das muss ganz sauber sein, und gebügelt, und ein mannsbild muss eine ordentliche hose anhaben, und ein weisses hemd, das ist schön, und eine anständige joppe oder einen rock. aber für alle tage, da ist so ein gewand nichts, da kann man nicht arbeiten damit, und arbeiten muss man.

nach dem krieg, da hat der mann ihr dann einmal zu weihnachten ein radio geschenkt, ein altes. da haben sie auf dem hof dann auch schon strom gehabt, und da hat sie dann radio hören können, musik auch, und nachrichten, und geschichten die sie im radio erzählt haben. da war sie sehr stolz auf den mann, weil der sie doch sehr gerne gehabt hat, trotz der vier kinder von einem anderen.

gesprochen hat sie nie darüber mit ihm, was wäre, wenn ihr mann doch aus dem krieg zurückgekommen wäre. der herrgott hätte ihr schon geholfen, die leut' im dorf nicht, aber den herrgott, den hätte sie fragen können. das hat sie ja eh immer getan, wenn was war.

vier söhne hat sie gehabt, vier söhne. alle gesund, nur sehr mager in der schlechten zeit, so mager. aber die erdäpfel hat man rationieren müssen, und alles andere auch. wenn dann noch schlechtes wetter war, ist auch nicht viel gemüse gewachsen, und ohne viecher im stall war auch kein dünger da. so war das damals. kaninchen hat sie ein paarmal gehabt, das war doch ein bisserl ein fleisch, nur auf die knochen von den kindern ist halt nicht viel davon gekommen, an so einem kaninchen ist ja nicht viel dran.

aber stolz war sie auf die vier söhne, und dass die und der mann immer sauber beieinander waren, so ordentlich wie es halt gegangen ist. nähen hat sie ja ganz gut können, und dann hat sie halt oft was geändert damit das wieder was gleichgeschaut hat.

alle vier söhne haben anständige berufe gelernt, alle vier. und es zu was gebracht im leben. da kann sie schon ein bisserl stolz darauf sein, auch wenn die leut' im dorf so schlecht über sie geredet haben, wegen dem mann.


nach zwei tagen wurde frau kelef dann zur operation abgeholt, lag dann vier tage in so einem überwachungszimmer, kam dann in ein andereskrankenzimmer. die oma war in der zwischenzeit wieder in ihr pflegeheim zurückgeliefert worden.

auf befragung sagten die krankenschwestern nein, besuch hat sie in den zehn tagen im krankenhaus nicht gehabt, hat auch keiner gefragt wie es ihr geht.

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