Mittwoch, 17. März 2010
sitzstreik in budapest, teil 4
man war also wieder auf achse. zweihundert und einige kilometer, etliche wolkenbrüche, pinkelpausen im grünen, sehr viele sehr laute ordnungsrufe seitens frau kelef und quengelige greinattacken der restlichen mannschaft später war man sogar in budapest.

es war früher morgen, es hatte aufgehört zu regnen, am horizont begann es zu dämmern, wie das ende august so gegen halb fünf uhr früh so zu sein pflegt.

so weit, so gut. auf unerklärliche weise hatte auch der stadtplan von budapest neben der karte von ungarn im handschuhfach die reise mitgemacht, und so wäre alles gut gewesen wenn auf dem vermaledeiten stadtplan die österreichische botschaft eingezeichnet gewesen wäre. oder irgendeine menschenseele, womöglich auch noch eine deutschsprachige, sich auf der strasse hätte blicken lassen. es wurden dann fallweise einige personen angehalten, aber irgendwie fürchteten die sich vor dem auto mit der merkwürdigen besatzung und ergriffen die flucht, ohne dass eine nähere kontaktaufnahme möglich gewesen wäre.

und wie das so war mit den volksdemokratischen wach- und sicherheitspersonen: wenn man sie brauchte waren sie wie vom erdboden verschluckt. das schien ja immer system zu haben. aber wehe man brauchte sie gerade nicht unbedingt ...

des einen herrn rendörség konnte man allerdings habhaft werden, und der war auch kommunikationsbereit, allerdings auf ungarisch. das wörterbuch (sie haben ja keine ahnung was frau kelef da alles im auto gebunkert hatte) war hilfreich, und so konnte auf der karte der weg zur österreichischen vertretung angezeichnet werden. natürlich hatte frau kelef die botschaft eher im zentrum vermutet, dort war man auch gut gelandet, aber, sie erraten es, sie war weit, weit ausserhalb. aber sie ward gefunden, in einem idyllischen villenviertel, schönbrunenr stil, traumhafte strasse, ruhig, mit schmiedeeisernem zaun und wachkameras und schattenspendenden bäumen zwischen gehsteig und strasse.

am tor war eine klingel. frau kelef drückte darauf: nix. mehrmaliges läuten: nix.

frau kelef schaute auf die uhr, es war so gegen sechs uhr früh, 24 stunden wachzustand fast, also bevor jetzt ein unglück passiert, dachte sie, da versuch ich noch eine runde zu schlafen, das macht erstens einen rosigen teint und zweitens ist das ja angeblich gesund, das schlafen. wie ging das nochmal: ah ja, bett, hineinlegen, augen zu, ...

der lada hatte liegesitze, aber: haben sie schon einmal versucht, in einem lada den liegesitz herunterzuklappen während hinter ihnen auf der vollbesetzten rückbank zwei elfjährige mädchen und zwei rauhaardackel sich um die beste sitzposition streiten? und haben sie schon einmal versucht, während neben ihnen ein fettkoloss schnauft und schnieft und von seinem erschwitzten wolf erzählt und überhaupt alle jammern und wehklagen, ein auge zuzutun?

wenn sie solches vermeiden können, dann tun sie dies.

ein wenig kühl war es draussen auch, und so meinte ein teil der mannschaft man müsse die fenster geschlossen halten, frau kelef mag es ja an sich schon eher kühl, und kühle kühlt auch hitzige gemüter, sagt man, kurzum, es war recht kurzweilig, kurzfristig stand man auch kurz vor mord und totschlag.

gegen acht war das alles nicht mehr auszuhalten. jeder hatte hunger, jede hatte durst, jeder musste pinkeln und mehr, keiner hatte geputzte zähne, jeder hatte grind unter den fingernägeln, keiner hatte was sauberes an, jeder hatte wieder hunger (besonders der koloss), und jeder wollte nach hause, zumindest telefonieren. und die grösste dramatik: frau kelef hatte keinen kaffee. das alleine schon ist ja ein gefahrenmoment für die umgebung.

frau kelef also, in der zwischenzeit von wenig ansprechendem äusseren (siehe oben) und auch ansonsten gezeichnet von den geschehnissen der letzten 24 stunden, entschloss sich, der vertretung der österreicher in ungarn nunmehr energischer nahezutreten.

klingelingeling. nix.

klingelingelingelingeling. nix.

klingelingelingelingelingelingelinge. nix.

elsa und anton, die rauhaardackel, sch*ssen jeweils einmal fröhlich vor die botschaft. man konnte ihnen dies nachfühlen, und ausserdem waren sie kurz angebunden, also an der leine, und konnten sich entsprechend nicht weit entfernen. die beiden waren übrigens die einzigen mit zuordenbarem ausweisdings, nämlich den hundemarken. aber die galten ja nix, damals in ungarn.

klingelingelingelinge-hallo-lingelinge-huuphuuphuup-wauwau-klingelinge-SIE! HERR BOTSCHAFT! nix.

obiges, wiederholt, crescendierend, und was tat gott? er erweckte einen jüngling mit lockichtem haar, der widerwilig den kopf aus einem fenster im ersten stock streckte, zerzaust und gezeichnet von man will gar nicht wissen was, und er öffnete den mund und sagte:

"was wollen SIE denn???"

nun, wenn er schon so unverblümt grusslos zur sache kam, so dachte frau kelef, dann könnte man ihm doch gleich sachlich näherbringen was das begehr sei, also:

"drei reisepässe, fahrzeugpapiere, führerscheinersatzbestätigung, ausreisepapiere für zwei hunde."

bumm. fenster zu.

klingelinge....

"was WOLLEN sie denn?"

"drei reisepässe, fahrzeugpapiere, führerscheinersatzbestätigung, ausreisepapiere für zwei hunde."

"wieso?"

"sind gestohlen worden."

"da müssen sie eine anzeige machen!"

"hab ich schon."

"da müssen sie morgen kommen, heute ist sonntag, am montag - aber da ist keine sprechstunde, also am dienstag - da können sie einen antrag stellen, nach einer woche bekommen sie dann ..."

"sie, ich muss morgen wieder arbeiten gehen, so rein theoretisch, ich hab kein geld und keine papiere, wie stellen sie sich das vor, die beiden mädchen sind elf jahre alt ..."

"da kann ich nichts dafür."

"wenn sie nicht sofort und auf der stelle und hier und jetzt und umgehend dafür sorge ..."

bumm. fenster zu.

klingelinge-wau-hup-schrei-pfeif-dröhn-schepper...

wussten sie, warum man immer genügend werkzeug im auto haben muss? damit man vor der österreichischen botschaft in budapest im zweifelsfall zusätzlichen lärm erzeugen kann. und zwar lärm, den man drei strassen weiter auch noch hört, so kurz nach acht an einem heiligen sonntagmorgen. das hätten sie jetzt auch nicht gedacht - und die damalige umgebung erst recht nicht.

jedenfalls, es erhoben sich erst um ruhe flehende, dann um ruhe ersuchende, dann vehement ruhe fordernde stimmen aus den umliegenden häusern. mehrsprachig, schien das diplomatenviertel zu sein.

frau kelef schaltete auf akustischen durchzug.

klinge-wau-hup-schepper-dröhn-wein-grein-schrei...wauwauwauwau .

eine pfeife hatte sich auch noch gefunden, wohl für die hunde gedacht, aber daher umso hervorragender dazu geeignet die wachhunde der umliegenden häuser in die sonntagmorgenmusik mit einstimmen zu lassen.

was ein spass.

herr botschaftsjüngling stolperte nach einer viertelstunde aus der tür, und näherte sich dem schmiedeeisernen zaun.

"was wollen sie eigentlich wirklich?"

"sie, ich hab das ernst gemeint, uns sind die papiere gestohlen worden, hier die anzeige von der polizei, hier eine visitekarte, hier die ordner mit unseren dokumenten, den abgelaufenen reisepässen, wir hätten bitte, gerne, ersatzpapiere damit wir nach hause fahren können, danke vielmals im voraus."

"da müssen sie am dienstag wiederkommen, das hab ich ihnen ja schon gesagt."

und in diesem moment platzte frau kelef der kragen, und sie brüllte den jüngling ein wenig an, unflätig, wenn die erinnerung nicht täuscht, und erinnerte sich auch daran dass ein ihr bekannter mitarbeiter des auswärtigen amtes, der mehrfach die botschafter in moskau, budapest, und noch ein paar ländern, vertreten hatte, die abhandlung von derlei geschehnissen (die ja per se nichts wirklich aussergewöhnliches sind) anders dargestellt hatte. der jüngling ward darüber informiert, insistierte jedoch auf einem wiederkommen am dienstag, und dann

trat frau kelef eben in sitzstreik. vor der botschaft in budapest.

frau kelef lehnte sich mit dem rücken an den schmiedeeisernen zaun, die sonne schien ihr ins gesicht, die vögel brüllten, die mannschaft schaute verwundert, der jüngling noch verwunderter, frau kelef aber seufzte tief und zufrieden, zog die schuhe aus, streckte die schmutzigen füsse quer über den gehsteig richtung sonne, und teilte dem jüngling mit ihrer süssesten stimme mit, sie hätte jetzt genug, sei nicht mehr fahrtauglich, ergo könne sie den traktor auch nicht von dem für botschaftsangehörige reservierten parkplatz wegbewegen, ergo müsse sie sich jetzt einmal ausschlafen.

weiters sässe sie hier sehr bequem (ein riesiges badetuch hatte sich noch gefunden), und da der jüngling mit oder ohne lockichtem haar sich als uneinsichtig erwiesen habe, hielte frau kelef jetzt eben sitzstreik bis zur erfüllung ihrer wünsche. denn ohne papiere kriege sie ja auch keine unterkunft, und ohne geld könne sie ja auch keine bezahlen, und überhaupt.

und wenn sich bis in einer kleinen weile das alles nicht zu frau kelefs wohlgefallen gelöst haben würde, dann wäre sie glattweg imstande sich aufzuraffen und weitere massnahmen zu ergreifen, als da seien:

weitere ohren- und nerventötende geräuscherzeugung
in der folge: rendörseg
in der folge: anzeige
in der folge: telefon nach hause
in der folge: verständigung der presse
in der folge: nette leute aus frau kelefs freundeskreis würden kommen
in der folge: nette artikel in der presse, gerne auch tv
in der folge: das mit der unterbringung und all diesen dinge würde wohl schnell funktionieren
in der folge: herr jungling hätte wohl einen klitzekleinen erklärungsbedarf mehr
in der folge: das auswärtige amt hätte erst recht einen erklärungsbedarf
in der folge: das könne der jüngling sich ja gerne selber ausmalen

und im übrigen wünsche frau kelef jetzt nicht mehr angeredet zu werden. sie persönlich hielte jetzt eben ihren sitzstreik, und der rest der mannschaft könne machen was er wolle, sie sei jetzt einfach nicht mehr in der lage ihr französisches hollywoodnervenkostüm weiter zu belasten, aus medizinischen und anderen gründen.

to be continued.

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hiermit sende ich Ihnen einen dicken virtuellen Kuss.


Dachten Sie jemals daran, survival-kurse bzw. bücher anzubieten?

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danke, frau marion.

und nein, ich biete keine kurse an: mir kann man wenig vor- und nachmachen ...

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... frau kelef sie sind a düsn! das darf man schon sagen. oder? ..... ;-)

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natürlich dürfen sie.

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ui, ui.
jaja, botschaftern muß man nicht selten erst die bedeutung des wortes "arbeit" beibringen.

und ob absicht oder nicht, "herr rendörseg" ohne stricherl auf dem "-ség" hat bei mir einen zusätzlichen lacher ausgelöst :-D

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ja, botschafter sind was ganz besonderes.

eigentlich wollte ich nachsehen wegen des stricherls, ich merk mir ja das rechts-links-rum nie, und dann habe ich das natürlich vergessen, dankesehr.

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seg, sagen meine ungarischen kumpane, sei ein mäßig unanständiger ausdruck für "gesäß" :-D rendörseg - "allerwertester eines polizisten".

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Ich warte
minütlich auf die Fortsetzung. So gelacht. Und selten so eine pointierte, feine und ironisch/sarkastische Erzählung gelesen. Chapeau!

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Eine herrliche Sonntagslektüre, danke
Ooooooooh, ist das spannend.

Frau Kelef, hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie göttlich erzählen können?

Liebe Grüße, Tatzelwurm, die sehnsüchtig auf eine Fortsetzung wartet

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Sie
sitzen da ja jetzt bereits fast eine Woche vor der Botschaft. Wann geht es denn weiter?

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also erstens ist das noch gar keine woche.

zweitens ist mir das damals vorgekommen wie eine ewigkeit.

und drittens: sie brauchen das ja nur zu lesen, ich muss es auch noch schreiben, und zwar so, wie es gewesen ist.

ts.

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So zu schreiben benötigt seine Zeit, Frau kelef, da haben Sie selbstverständlich recht, und es versteht ja auch jeder. Herr pathologe und die anderen Kommentierenden sind allerdings auch zu verstehen, man wird ja regelrecht süchtig.
Wann erscheint denn Folge 6?

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Damit Sie sich das vorstellen können, Frau kelef:
Seit ich einem erkrankten Freund aus Ihren Sitzstreik-Folgen vorlese, begrüßt er mich mit "Hast Du's dabei?"
a) Ich nicke, er strahlt, ruckelt sich zurecht, und dann beginnt das Vorlesen.
b) Ich schüttle den Kopf, er seufzt, ich tue es ihm gleich.
Die Ausdrucke muss ich immer dalassen, denn die Nachtschwester will sie auch lesen.

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ich fühle mich gebauchpinselt ob des lobes, vielen dank. und: ich beeile mich.

richten sie ihrem kranken freund meine genesungswünsche aus, und im zweifelsfall lesen sie ihm doch eine andere geschichte vor zur überbrückung. vielleicht was aus der ddr oder was von den handwerkern - das erinnert mich, ich muss die hausverwaltung wieder einmal anrufen, das könnte auch ergiebig sein als unterhaltungsthema.

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Au ja, Frau kelef. Vielleicht gäbe es für Meister Klecksel etwas zu streichen? (Aber bitte nur, wenn Sie davon nicht Nerven bekommen, Kunst durch Leiden muss ja nun nicht sein.)

Die Genesungswünsche richte ich ihm gerne aus; die Renovationsabenteuer kennt er natürlich schon (die haben bereits mich auf Ihre Seite gebracht, über die Empfehlung meiner damaligen "Obermieterin" – nennt man das so auf Deutsch, wenn einem jemand seine Wohnung überlässt?), und die DDR geh ich gleich suchen.

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