Montag, 22. März 2010
sitzstreik in budapest, teil 5
frau kelef also sass, und streikte, und harrte der dinge die da kommen sollten.

der botschaftsjüngling glaubte das alles nicht und wähnte sich irgendwie in einem alptraum, was auch dem unverkennbaren alkoholgenuss der vornacht geschuldet gewesen sein mag.

die freundin der tochter greinte ein wenig, dazwischen war sie lästig, wurde aber alles ignoriert.

der vater der freundin der tochter hielt referate über geschwitzten wolf bei überdurchschnittlich wohlgenährten personen, und trug damit nicht wirklich positives zur situationsentspannung bei.

die dackel fanden das alles nur lustig, wenn sie sich lautstark mit den anderen hunden unterhalten konnten, was wiederum der entspannung auch eher abträglich war, um das einmal vorsichtig zu formulieren.

die tochter von frau kelef kannte frau kelef aus gründen schon länger als sie auf der welt war, es schwante ihr also böses auf mehreren ebenen, und das einzige was sie noch mehrfach hervorbrachte war ein entsprechend betontes "oh-oh-oh", und zwischendurch ein entschuldigend-fragendes "mama?"

frau kelef aber seufzte tief, mit geschlossenen augen an das schmiedeeiserne gitter im schönbrunner design gelehnt, die sonne schien, die vögel brüllten. die nachbarn brüllten fallweise auch, gottseidank auf ungarisch, das verstand frau kelef nicht, wäre ihr aber auch egal gewesen.

es verging eine stunde.

der botschaftsjüngling glaubte das alles langsam, es wurde ja auch später am vormittag, die spaziergänger sahen die versammlung vor der botschaft, ein oder zwei autos blieben stehen und schauten interessiert, ein oder zwei fotoapparate wurden gezückt obwohl doch auf dem schmiedeeisernen zaun ein grosses schild mit "fotogorafieren verboten" (in mehreren sprachen) prangte.

frau kelef räkelte sich mit geschlossenen augen in der sonne.

ein mildtätiger passant brachte eine plastikflasche voller wasser - für die hunde. immerhin.

frau kelef hätte ja gerne eine menge anderer dinge gehabt, vorzugsweise zuerst einmal kaffee, eine waschgelegenheit, geputzte zähne, und dann zum beispiel reisepässe, autopapiere, ausreisegenehmigungen, oder wenigstens den hals des botschafters zwischen den fingern, aber wasser für die hunde war ja schon einmal ein guter anfang.

kurz vor mittag hatte der jüngling es verstanden. frau kelef würde sich nicht entfernen, der rest der mannschaft hing mit unsichtbaren ketten untrennbar an ihr, er musste was tun.

"wie lange wollen sie denn noch da sitzen bleiben?" weckte er frau kelef rüde aus dem schlaf.

"raten sie einmal." wenn man frau kelef weckt, sollte man sicherheitshalber dafür sorge tragen dass mindestens ein meter sicherheitsluftlinie zwischen ihr und der weckenden person ist. das weiss der jüngling seither auch: frau kelef schlägt zuerst zu, dann macht sie die augen auf und schaut, wen sie getroffen hat.

als der jüngling wieder gerade stehen konnte und sich sein schmerzensgeheul (untermalt von den fröhlichen äusserungen der hunde die das alles für einen riesenspass hielten) gemildert hatte, fragte er mit gepresster stimme noch einmal genau nach.

frau kelef schilderte ihm die situation nochmals in kurzen, wenig freundlichen worten, zum mitschreiben für die besonders dummen, kwasi.

der jüngling bequemte sich infolge der bereits leicht gereizten stimmungslage frau kelefs doch dazu sich in die botschaft zu begeben, antragsformulare zu holen, diese frau kelef auszuhändigen und mit süffisanz festzuhalten das werde ihr aber gar nichts nützen, denn es würden auch noch passfotos benötigt, und zwar richtige, nix automat (den gäbe es ausserdem auch gar nicht), und das dauere allein ja schon ein paar tage. und dann sei der botschafter, wie er gerade gesehen habe, erst am mittwoch oder am donnerstag wieder da, frühestens, wahrscheinlich erst montag in einer woche.

"passfotos?" hyperventilierte frau kelef.

"ja, und zwar vorschriftsmässige."

"und die ausgefüllten anträge, und dann ist gut, und wir kriegen die papiere?"

"das dauerte dann nur ein paar tage."

"sie, ich sag ihnen jetzt gleich im voraus, und zwar ganz genau, ich komme demnächst mit den bildern, und dann aber will ich auf der stelle die papiere, und wenn ich auf der stelle sage dann meine ich das auch."

"und dann müssen sie mit den reisepässen noch zur lokalen polizei, wegen der ausreisevisa. das dauert wieder. und die haben nur vormittags amtsstunden."

frau kelef kroch wortlos hoch, hangelte sich am zaun entlang zum auto, eine hand krampfhaft um die wertvollen anträge gekrallt, die mannschaft wurde ins auto getrieben, motor an, und hinweg und hinfort.

richtung zentrum. da gab es grosse internationale hotels, menschen die deutsch sprachen, es war sonntag mittag, und da würde sich doch um wessen barmherzigkeit auch immer ein fotografengeschäft das offen haben würde finden. möglichkeitsform galore.

je nun. nix. nada. nothing. nincs. nemam.

wenn die laune frau kelefs aus den beschriebenen gründen nicht mehr ganz so lieblich ist wie sie das sein kann, dann sollte man ihr nicht widersprechen. schon gar nicht sollte man ihr erklären, dass es nicht möglich sei im jahre des herrn 1986 an einem sonnigen augustsonntagmittag mitten in budapest einen fotografen zu finden der innerhalb von ein paar stunden passfotos macht. weil, so beschloss frau kelef, den fotografen gibt es sicher, man muss den nur finden.

in der zwischenzeit schluchzten die drei zweibeiner nur mehr haltlos vor sich hin, die hunde winselten und hatten zudem das was sie im restaurant in sopron zu fressen bekommen hatten nicht wirklich gut vertragen.

"durchsage an alle: schnauze. jetzt. muss denken."

und es begab sich, dass denken half (das hat man ja oft), und so wurde ausgeschwärmt und nach schaukästen mit fotos gesucht. sowas hatte frau kelef bei ihren früheren besuchen in budapest schon gesehen, die gab es, fragte sich nur wo.

oh, am hoteleingang, wie überraschend logisch. adresse stand drauf, und das schicksal war gnädig, es waren eigentlich nur ein paar schritte, öffnungszeiten natürlich nicht am sonntag, hätte ja sogar frau kelef gewundert, aber der zweck heiligt die mittel und dass das kein atelier sondern eine privatadresse war - wtf, und also machte sich die mannschaft bestehend aus den bereits beschriebenen personen in ihrem sehr merkwürdigen zustand auf um dorthin zu gelangen.

die sache mit dem morgenfrischen teint wurde ersatzlos gestrichen, ebenso die sache mit ordentlicher kleidung und frisur und dem guten atem, man kann ja nicht alles haben und riechen würde man auf den bildern sowieso nix.

klingeling.

ein betörender duft nach mittagessen, frisch in zubereitung befindlich, kam durch die geschlossene tür.

man hatte ja draussen vor der tür eigentlich keinen appetit, aber riechen tat das, mein lieber scholli, und aber keiner machte auf.

klingelingeling (hatte man schon geübt) und wauwauwau.

hinter der tür hörte man ein empörtes gemurmel, dann öffnete sich die tür einen spalt, mit vorgelegter kette, und eine klitzekleine frau äugte heraus. also eigentlich nase mit goldrandbrille voraus, die frau war dahinter.

frau kelef, mit wörterbuch und anträgen und diebstahlsbestätigung und visitekarte und dokumentenmappen und noch ein paar forint in der hand versuchte ihr begehr vorzutragen.

"das hier ist meine privatwohnung, kommen sie bitte morgen ins geschäft." die frau sprach deutsch - von nun an konnte es nur besser werden.

frau kelef dankte vielmals im voraus für das ihr noch gar nicht entgegengebrachte verständnis, und entschuldigte sich äusserst überzeugt für die unverfrorenheit des unangebrachten klingelns und störens und erscheinens und überhaupt der eigenen existenz an sich, aber man möge doch die kindelein und die hündelein und überhaupt ...

die klitzekleine budapester fotografin ruckelte an ihrer goldrandbrille, schaute zu frau kelef auf, seufzte abgrundtief und herzerweichend, schaute die mannschaft an, seufzte noch abgrundtiefer, ruckelte noch einmal an der brille, und sprach die schicksalsschweren worte:

"oi, oi, oi, was a schlamassel, na da komme se herain, das mache mer schon, schalt ich nur den herd aus, kommt besuch dann, muss eben warten."

was soll man berichten: im ehemaligen kinderzimmer hatte diese beste, liebste, netteste, verständnisvollste, kleinste, grossnasigste und älteste fotografin der frau kelef jemals begegnet ist ein kleines atelier. und sie machte auf der stelle die besten, schönsten, vorschriftsmässigsten passbilder die von frau kelef jemals gemacht worden sind. und weil sie so begeistert von frau kelefs tochter und deren (zu diesem zeitpunkt höchst ungepflegter) haarpracht war, machte sie auch gleich noch ein paar künstlerische portraits von der jungen dame. und während sie in der küche kaffee kochte um frau kelefs lebensgeistern wieder auf die beine zu helfen, da entwickelte sie die bilder auch gleich, schnitt sie zu und drückte sie frau kelef hübsch sortiert in kleinen kartonmäppchen in die hand, und wollte noch nicht einmal geld nehmen: "man muss immer helfen wenn man kann, wir juden wissen das ja schon lange."

die preise waren allerdings im schaukasten angeschrieben gewesen, es wurde also ein wenig multipliziert und das geld der dame in die hand gedrückt, sie sträubte sich, geben sie es meinethalben bedürftigen, sagte frau kelef, und vielen dank auch. gott segne sie, sagten beide, die mädels hatten noch limonade bekommen und der vater der tochterfreundin auch einen kaffee (vertrug er aber nicht so gut, diese koffeinunmenge, der war dann auch noch wie auf speed, wolfsspeedig sozusagen), und man verabschiedete sich gar herzlich, und die fotografin heizte den herd wieder an, und frau kelef sagte zu sich:

"ha. geht doch wenn man will."

ein kurzer stopp in einem kleinen kaffeehaus wurde eingelegt, die anträge ausgefüllt, einmal tief durchatmen, und dann wurde die mannschaft zu paaren und in den traktor getrieben, zurück ging es zur botschaft.

bezeichnenderweise zogen über budapest zu diesem zeitpunkt ein paar wolken auf, und ein leichter wind begann stärker zu werden.

vor der botschaft angekommen wurde der traktor wieder auf den "reserviert für botschafter"-parkplatz geworfen, die türen öffneten sich und die mannschaft stand vor den toren der vertretung der österreicher in ungarn.

klingelingelingelingeling-huphup-pfeif-wauwauwau - diesmal gleich die ganze palette, wenn schon denn schon, und geübt war das ja.

der jüngling, in der zwischenzeit frisch gebadet und gekleidet, sah schon ein wenig menschlicher aus als zu früher morgenstunde, kriegte aber beim anblick der wohlbekannten und noch immer nicht liebgewonnenen gestalten eine leichte blässe im gesicht.

"schönen guten nachmittag" sprach frau kelef, "wir bringen dann hier die ausgefüllten anträge und die passfotos."

de wolken mehrten sich, wurden dunkler, und es donnerte.

"das kann nicht sein!" meinte der jüngling.

"das ist so." meine frau kelef.

ein kleines hin und her später hatte er dann offensichtlich so viel angst vor frau kelef, deren mannschaft und den ideen die sich in frau kelefs kopf zu diesem thema möglicherweise noch bilden könnten, dass er die gesammelten werke entgegennahm und schwor, im moment sei wirklich kein unterschriftsberechtiger vor ort, aber am nächsten vormittag seien die pässe etc. unterschrieben und abholbereit. und zwar rechtzeitig, um noch der ungarischen polizei zu den dortigen amtsstunden einen besuch abstatten und die ausreisevisa erhalten zu können.

und frau kelef sagte zu sich:

"ha. geht doch wenn man will."

die mannschaft in den traktor, und ab die post - wohin eigentlich?

es war in der zwischenzeit so gegen sechzehn uhr. der himmel wurde immer dunkler, der donner immer lauter, geld hatte man nicht sehr viel, und irgendwie, nachdem schlafen in der vergangenen nacht ja eher nicht auf dem programm gestanden hatte waren alle ein wenig übernächtigt, vor allem aber waren nunmehr endgültig alle: hungrig.

in budapest gab es immer schon die tollsten restaurants. und tolles essen. und noch viel tolleres personal, so von der sorte wie frau kelef es sehr schätzt, diese hervorragend ausgebildeten, soignierten, wohlerzogenen, erfahrenen kellner die sind wie sie sein sollen: liebenswürdig, unaufdringlich, und so weiter, aber ein klein wenig schauen die dann doch darauf dass die gäste die ins lokal kommen, nun ja, sagen wir einmal: auch hineinpassen. und: die kellner kriegen ja auch dafür bezahlt dass sie das tun, sollte man nicht vergessen.

und dann versuchen sie, sich den zustand vorzustellen in dem frau kelef und ihre mannschaft war nach den umtrieben der vergangenen stunden und tage, und dann versuchen sie in eines dieser restaurants hineinzukommen.

wenn sie es vermeiden können: versuchen sie es erst gar nicht. so viele reservierungen wie es da plötzlich gibt! an diesem sonntagabend muss die gesamte haute volée ungarns geplant haben essen zu gehen. dabei geht die gesellschaft doch eigentlich am sonntagabend nicht aus. nun ja.

es fand sich dann ein russisches restaurant mit schanigarten, in dem durften sich alle (nach kurzer schilderung für die gründe des äusseren zustandes) hinter der hecke niederlassen, ein paar büsche in kübeln wurden sorgsam so drapiert dass keiner hereinsehen konnte, und dann gaben die kellner ihr bestes: es wurde rekommandiert und erklärt und gebracht und geschleppt und eingegossen und bedauert und so weiter und so fort, ein labsal für seele und gaumen und magen, und dann noch "kompliment vom haus": rotwein von der krim, und kaffee und kuchen, und wodka, und eis für die jungen damen.

hotel, so beschied man uns, würde sich keines finden, man habe telefonisch schon nachgefragt, wegen der hunde, aber man hätte da - das zelt, wir erinnern uns, war ja noch in den tiefen des kofferraumes - einen etwas ausserhalb gelegenen campingplatz aufgetan. da wäre platz, und der betreiber sei erstens russe und zweitens sehr verständnisvoll wegen papieren und so, und drittens habe man ihm schon bescheid gesagt, sei alles sehr ordentlich und neu dort, und frau kelef möge sich doch bitte auf die herren x und y berufen, dann sei das schon in ordnung. ganz ungefragt hatten die das erledigt, wurde hier schon das hohe lied auf hervorragendes personal gesungen, besonders auf die kellner in russischen lokalen in budapest anno dunnemals? chapeau.

frau kelef, voll tiefster dankbarkeit, bedankte sich froh und glücklich, rief den segen der orthodoxen kirche auf die herren herab, schickte die zweibeiner noch mal an die bäume pinkeln und die hunde händewaschen, dann ward die mannschaft zu paaren und in den traktor getrieben.

und auf ging es richtung stadtautobahn zum campingplatz "etwas ausserhalb". es krachte, es donnerte, es begann endlich wieder zu schütten wie aus kübeln.

to be continued.

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