Mittwoch, 24. März 2010
sitzstreik in budapest, teil 6
der campingplatz war wirklich ziemlich ausserhalb, in einer autobahnschleifentiefe, gelegen, und tatsächlich funkelnigelnagelneu. und es gab dort ebensolch neue, wirklich grosszügige bade- und toiletteanlagenhäuser, pingelig sauber, mit riesigen duschen und heissem wasser und spiegeln und alles war so ordentlich und roch so gut und ...

jedenfalls, der betreiber hatte auf frau kelef und die mannschaft gewartet, er sprach viel und laut und russisch, ungarisch, deutsch, englisch, französisch und noch ein paar sprachen, leider alle gleichzeitig und durcheinander, aber die herren x und y kannte er, die hatten ja angerufen, und er habe auch schon einen schönen platz für uns reserviert, gross und gemütlich unter einem dichten baum, es regne ja gerade ziemlich stark, und ob wir hilfe bräuchten.

frau kelef dankte dem himmel, zelt aufschlagen könne sie alleine, den angebotenen kaffee mit geschmack (russischer wodka ist ja bekanntlich eine hochwirksame medizin) nahm sie gerne, es wurden noch ein paar getränke für die zweibeiner mitgenommen, frau kelef dankte dem russischen engel der aussah wie einer der klitschko-brüder, nur ein wenig sehr viel gewichtiger, und auf ging es zum reservierten platz.

der war unter einem sehr grossen sehr alten baum mit riesigen blättern, immerhin, aber trotzdem: diesem gewitter wäre nicht einmal ein dreifacher regenschirm aus friesischem spezialgewebe gewachsen gewesen.

also: kofferraum auf, mannschaft im auto eingeschlossen, tipi heraus.

haben sie schon einmal bei wirklich strömendem regen, nachdem sie innerhalb der letzen 36 oder mehr stunden nur ein paar kurze nickerchen gehalten haben, ein paar hundert kilometer gefahren sind, und so weiter, versucht ein viermann-zelt in der finsternus der nacht mit ohne taschenlampe und mit ohne zeltplatzbeleuchtung (die anderen camper schliefen schon) alleine aufzubauen? insbesondere bei neumond? man sollte von sowas abstand nehmen, so irgend möglich.

die freundin der tochter und ihr vater hatten statt zweier linker hände eigentlich zwei linke füsse, so ungeschickt waren die, und die tochter musste die hunde bändigen, war zwar willens zu helfen, hatte aber auch noch tröstende funktionen zu erfüllen.

irgendwie waren dann aber doch alle häringe im matsch versenkt, ein spannseil wurde an der stossstange festgezurrt (matsch zu matschig), ein anderes am baum. musste ja nur bis zum nächsten morgen halten, es war auch schon spät. zeltstangen alle am richtigen ort, puh. die paar blaumeisen, die sich unter frau kelefs fingernägeln gebildet hatten, waren vernachlässigbar, ein indianer kennt keinen schmerz.

frau kelef hatte alles alleine geschafft, das tipi stand, war dicht, die paar grindigen badetücher und handtücher und hundedecken hinein, die zweibeiner noch in die badehäuser gejagt (somit waren auch die letzten halbwegs trockenen hand- und badetücher, die die reise mitgemacht hatten, durch und durch nass), mannschaft hineingejagt in das zelt, reissverschluss zu und: kusch jetzt, alle.

friedliche ruhe senkte sich über frau kelefs gemüt, und sie beschloss, komme was da wolle, jetzt eine heisse dusche, und dann schläft sie im traktor, und zwar alleine. heilige stille würde sein, kein greinen, kein schnaufen, kein fremder atemzug.

zahnbürste und -pasta, kamm und haarshampoo (mit wie wenig toiletteartikeln man doch auskommen kann!) unter den arm genommen, auf in das einladende badehaus, heisses, sauberes wasser, frau kelef konnte gar nicht genug davon bekommen. und dann war dort auch noch so ein riesenfön der aus der decke kam, unterwäsche gewaschen, unter dem fön getrocknet, unbeschreibliches glück.

sauber und duftend kehrte frau kelef barfüssig (die schuhe hätte sie im finstern im matsch sowieso nur verloren) durch den matsch und den regen zurück zum auto, öffnete die tür, fiel förmlich hinein, wer braucht schon kopfpolster und decke, fenster einen spalt auf, noch eine gute-nacht-zigarette, und: heihei.

es war unvorstellbar schön. die ruhe, die stille, die dunkle nacht, der nunmehr etwas gemässigte sommerregen der leise und friedlich auf das autodach prasselte, hach ja. frau kelef schlief jetzt und hier und auf der stelle ein.

nach gefühlten 21 sekunden hämmerte es auf das dach. der koloss, auch vater der freundin der tochter genannt, begehrte einlass. ihm sei kalt, es sei feucht, der boden sei hart, der wolf brenne und jucke, die dackel furzten und die kinder schnarchten - eigentlich schnarchte sein kind, aber gnade vor recht.

frau kelef beherrschte sich, richtete sich auf, öffnete die tür, liess den koloss auf den beifahrersitz, und hiess ihn sich lautlos zu verhalten, ansonsten bestünde gewaltige gefahr für sein leben.

der koloss schaffte es zwar wortlos zu bleiben, aber 150 kg können nicht lautlos leiden, und so schnaufte und kratzte und bebte und schniefte er vor sich hin dass es eine schande war.

eine flucht ins zelt war nicht ratsam, er hatte die mädel und die hunde schon einmal aufgeweckt, die schliefen gerade wieder und das ganze theater noch einmal: ohne frau kelef, bitte, danke. selbsthypnose ist ja auch was feines: ommmmm.

irgendwann begann es wieder hell zu werden, es hatte aufgehört zu regnen und frau kelef fand sich auf mystische weise auf einer parkbank wieder, die unter dem baum stand unter dem das auto und das zelt standen. bis dato war sie nie schlafgewandelt, man weiss nicht genau was passiert war, jedenfalls waren alle noch am leben, was relativ unerklärlich, aber unübersehbar war.

frau kelef kroch ins auto zurück, der koloss monierte dass man ihn geweckt und er jetzt zuwenig platz habe, und sein wolf, ... kusch jetzt, sprach frau kelef.

kurz darauf erschien auch der rest der mannschaft, weil kalt, feucht, hart, was auch immer, und krabbelte der reihe nach ins auto. liegesitze rauf, im sitzen kann man sich ja auch erholen, augen zu, und: ... kusch jetzt, sprach frau kelef.

eine stunde später, es war noch immer ziemlich früh, kühl und feucht, aber die hunde mussten mal, die mädels auch, der koloss hatte immer noch den wolf und hätte gerne genaueres dazu mitgeteilt, die mädels hatten ferner hunger und ihnen war kalt, und auch der boden wäre zu hart gewesen, und das auto sei zu klein für so viele menschen, der koloss begehrte ärztliche behandlung und die mädels frische kleidung, und ...

kusch, jetzt. das kannten die schon.

frau kelef schickte alle in die verschiedenen vorgeschriebenen richtungen, wies den koloss an sich gefälligst mit irgendeiner möglicherweise irgendwo im kofferraum befindlichen hautcreme zufrieden zu geben und sich weiterer äusserungen zu dieser thematik zu enthalten, ihr ferner nicht im wege zu stehen und sich überhaupt tunlichst unauffällig zu verhalten. warum er wien ohne zahnbürste verlassen hatte wurde nicht näher erörtert, sollte er eben den mund halten, war sowieso besser.

forint waren nur mehr wenige vorhanden, aber für die bezahlung des platzes und kaffee reichte es gerade noch.

zelt abgeschlagen, nasses zeug in den kofferraum gepfeffert, mannschaft zusammengetrommelt, dem riesigen russischen engel noch einmal gedankt, und hopp-hopp in den traktor. die botschaft wartete, und in ihr die reisepässe und die anderen papiere, und dann die polizeistelle und dann aber: nach hause.

auf dem weg zur botschaft noch bei einer bank angehalten, die öffnete dann auch schon nach einer halben stunde wartens, zwei schecks des vaters der freundin der tochter eingelöst, und dann weiter.

vor der botschaft angekommen - es stellten sich schon fast heimatliche gefühle ein, aber nur fast - fand sich der schon bekannte parkplatz besetzt, die freude war gross, also irgendjemand der obrigkeit schien tatsächlich angekommen zu sein, vielleicht war der auch anwesend, traktor abgestellt, mannschaft heraus- und zu paaren getrieben, und richtung schmiedeeisernes tor geschritten.

dieses war diesmal gar nicht versperrt, rein, durch den vorgarten, an der tür klingeln, freundlich grüssen, dem türsteher oder wer auch immer das war die begehr vorgetragen, der schaute wie nach einem zusammenstoss mit einem grossen, roten autobus und meinte:

"wenn sie keinen termin haben, kann ich sie nicht hereinlassen."

frau kelef versicherte ihn der tatsache, dass sie de facto sehr wohl einen termin habe, nur eben keine schriftliche bestätigung für diese tatsache, und dass man sie jetzt doch bitte ...

"wenn sie keinen termin haben, kann ich sie nicht hereinlassen."

ob der herr türöffnungs- und vorstehungsdirektor in seiner unbeschreiblichen freundlichkeit und gnade vielleicht so entgegenkommend sein und den jüngling mit lockichtem haar ausforschen könne, dieser wisse nämlich bescheid, und es sei doch auch so vereinbart, und ...

"wenn sie keinen termin haben, kann ich sie nicht hereinlassen."

bei frau kelef setzte kurz die atmung aus, die mannschaft begann zu greinen/weinen/winseln, und herr anton, der rauhaardackel, fand es an der zeit wieder einmal irgendwohin zu pinkeln wohin er sonst nicht durfte, diesmal traf es die tür.

frau kelef atmete mehrmals tief durch, und sprach:

"und wenn sie mich jetzt nicht auf der stelle da hineinlassen und wir unsere pässe und papiere bekommen damit wir rechtzeitig auf der polizei um unsere visa ansuchen können, dann bin ich in 30 sekunden wieder da draussen vor der tür auf dem gehsteig im sitzstreik, und wir veranstalten einen krawall dass die fensterscheiben scheppern."

"das wagen sie nicht."

die tochter sagte nur "oh-oh-oh", mit jener besonderen betonung, frau kelef hingegen sagte gar nichts, sondern schritt hocherhobenen hauptes und verkrampften nervenkostüms durch den vorgarten und das schmiedeeiserne tor, die mannschaft folgte paarweise.

frau kelef nahm eines der bemerkenswerten badetücher und ein wenig werkzeug aus dem kofferraum, drapierte das tuch malerisch auf dem gehsteig, liess sich graziös darauf nieder, streckte das gesicht in die sonne und die beine über den gehsteig, liess schraubenschlüssel, wagenheber und hämmer erklingen und wies die mannschaft an die lautmalerische unterstützung ihrer rhythmischen darbietung umgehend beginnen zu lassen.

und so tönte es wieder huphuphup-pfeif-klapper-winsel-schepper-wauwauwau,
es brüllte ungarisch aus den umliegenden häusern, die fenster der botschaft klirrten, ein paar autos blieben stehen, ein paar fotoapparate wurden gezückt, aber es geschah sonst nichts weiter als dass die zeit verging.

frau kelef jedoch sass wieder vor der vertretung der österreicher in ungarn und streikte. hatte sie ja schon übung darin.

to be continued.

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