Samstag, 13. März 2010
sitzstreik in budapest, teil 3
guter rat war teuer. ein telefon wäre eine hilfe gewesen, daber nun gab es an der grenzstation zwar telefone, aber mit denen durfte man mit sicherheit nicht nach hause telefonieren, soviel war sicher.

also zurück nach sopron, sind ja nur ein paar kilometer. dort die mädel und die hunde sicher im auto versperrt, und ein restaurant gesucht. das fand sich, und es fand sich auch ein netter deutscher mann, der frau kelef aufgrund ihrer weinerlich vorgetragenen schauergeschichte ein paar münzen schenkte, und also konnten kinder und hunde befreit und gefüttert werden, und: da war ein telefon. im restaurant. so ein richtiges, von dem aus man auch ohne voranmeldung ins ausland - vor allem nach hause - telefonieren konnte.

die aufgabenstellung war ganz einfach und logisch:

erstens musste der wohnungssitter ausgeforscht werden, damit dieser umgehend in frau kelefs wohnung eilen und von dort die dokumentenmappen von frau kelef, der tochter und den hunden holen möge. wie sonst hätte bewiesen werden können dass frau kelef ist wer sie ist, dass das tochterkind ihre tochter und die hunde die hunde waren?

zweitens mussten die eltern der tochterfreundin verständigt werden, auf dass die dokumentenmappe derselben ebenfalls ausgefasst werden könnte, weil wie sonst hätte bewiesen werden können dass die freundin die freundin ist?

drittens musste irgendwie irgendwer kohle herbeischaffen, weil: ohne geld keine musik. und frau kelef war ja in der zwischenzeit nicht nur scheck-, sondern auch bargeld- und benzinlos.

viertens mussten dokumentenmappen und geld via irgendwen oder irgendwas an die grenze in sopron gebracht werden. und zwar auf der stelle, mehr oder weniger.

und fünftens musste irgendwie eine vollmacht für frau kelef her- und bereitgestellt werden, damit diese denn dann auch die notwendigen papiere für die tochterfreundin erlangen könnte.

nun, punkt eins war am einfachsten, der wohnungssitter war in seiner wohnung anzutelefonieren, und frau kelef ist ein ordentlicher mensch und hat ihre zettelchen immer entsprechend sortiert und ergo auffindbar, auch wenn sie ausser landes ist.

punkt zwei war schon schwieriger, weil wie erklärt man menschen, die erst einmal im leben im ausland waren - in italien, mit der ganzen familie - wie das in einem volksdemokratischen land so abläuft? frau kelef war da ja nach den ddr-erfahrungen nicht nur geläutert, sondern auch erfahren und weder wirklich zu erschüttern noch zu erstaunen durch abstruse grenzerfahrungen, aber das ist eine andere geschichte. und nutzte damals auch gar nichts.

mehrere nervenzusammenbrüche, wein- und schreikrämpfe und so weiter später war den eltern der freundin der tochter klar, was benötigt wurde. der vater der jungen dame hingegen wollte seine arme kleine tochter nicht alleine lassen, und beschloss, er käme mit nach budapest. jetzt und hier und auf der stelle. nichts brachte ihn davon ab, schon gar nicht das heulen seiner tochter, die verbotenerweise nach dem telefonhörer gegrabscht hatte.

geld wurde von den wiener kontaktpersonen in den verschiedenen umliegenden wirtshäusern, der tankstelle, und bei ein paar bekannten zusammengeschnorrt. der vater der tochterfreundin hatte nur drei schecks zur scheckkarte, und einen seeehr begrenzten überziehungsrahmen für sein konto, seine frau hatte weder konto noch geld noch vollmacht für sein konto, konnte also auch den überziehungsrahmen nicht kurzfristig erhöhen lassen, und war überhaupt so innerlich zerstört dass ihr kein vernünftiges wort entkam.

das mit dem transport gestaltete sich wiederum einfacher, denn in einem der wirtshäuser fand sich ein taxifahrer, der gerade mit seiner frau gestritten hatte, und deshalb den kleinen ausflug gerne machte - so musste er nicht nach hause gehen, und zu erzählen hatte er obendrein was.

die sache mit der vollmacht erübrigte sich durch die in aussicht gestellte anwesenheit des vaters der tochterfreundin.

frau kelef trieb nun wieder alles was beine hatte zu paaren, setzte den traktor in betrieb und tuckerte zur grenze.

es dauerte nicht lange, da kam von der österreichischen seite ein wiener taxi angefahren. in der zwischenzeit war es zehn uhr abends vorbei, frau kelef und co. waren seit ca. 15 stunden auf den beinen, und entsprechend nicht mehr ganz so taufrisch, und mit der belastbarkeit stand es auch übel. in der zwischenzeit war es auch ziemlich schwül geworden, das hob die toleranzgrenze aller beteiligten auch nicht wirklich. vom zustand der nervenkostüme an sich wollen wir einmal gar nicht reden.

das taxi durfte sich nach verschiedenen telefonaten seitens der grenzer, nach einer passkontrolle aller darin befindlichen personen, und selbstverständlich erst nach erteilung eines visums pro kopf und nase nähern.

und dann stieg der vater der tochterfreundin aus. wurde schon erwähnt, dass das auto, traktor genannt, ein lada war? wohl ein grosser, viertüriger, aber eben ein lada. und bis an den rand vollgepackt.

der vater der tochterfreundin war, wie soll man sagen, ein wenig überdimensioniert. dick wäre nicht der richtige ausdruck, er war einfach fett. ziemlich fett. bei 1,75 cm hatte er elegante 150 kg, angstschweissgetränkt durch und durch, und olfaktorisch war das durchaus auch dann erkennbar, wenn man fünf meter gegen den wind entfernt von ihm stand - ein angstschwitzer, und das unter diesen umständen und bei dem wetter. schluchzend umarmten sich vater und tochter und bereiteten sich quasi auf ihr baldiges erschossenwerden vor, schien es. frau kelefs tochter war mehrfach auf ihre doch nicht ganz unmassgebliche beteiligung am herrschenden desaster hingewiesen worden und verhielt sich still und unauffällig, was wiederum den grenzern eher auffällig erschien. aber nun ja.

frau kelefs gehirnwindungen ratterten hörbar. die einzige möglichkeit war jetzt, den grenzern beizubringen dass der traktor ausgeladen und die verderbliche ware in das taxi umgeladen werden musste. und ein wenig wäsche etc. ebenfalls, erstens aus platz-, zweitens aus olfaktorischen, drittens aus verderblichkeits- (wurden die salami, der käse, das obst etc. schon erwähnt???), und letztlich auch aus gewichtsgründen.

ist nicht möglich. meinten die grenzer.

ob nicht vielleicht wenigstens die heulenden hunde ...?

ist nicht möglich, meinten die grenzer.

oder die lebensmittel?

siehe oben.

einige tränenflüsse seitens der mädels und des vaters der tochterfreundin später wurde wieder telefoniert, dann kam ein verständnisvoller grenzer herangeschritten und meinte, na gut, das sei ja nun wirklich, aber er müsse genau kontrollieren was da von dem einen auto in das andere geladen würde, denn es habe ja vorhin den zwischenfall gegeben, die schmuggler würden immer noch gesucht, und man könne ja nie wissen was die leute so über die grenze zu bringen gedächten. also müsse er kontrollieren, und zwar stück für stück. und die hunde müssten mit nach budapest, weil ohne papiere ginge da gar nichts.

dicke, dunkle wolken zogen auf, und es begann ganz leicht zu regnen.

am grenzübergang sopron - es war in der zwischenzeit fast mitternacht, standen:

das wiener taxi
der traktor
der taxifahrer
der wohnungssitter
frau kelef
die tochter
die tochterfreundin
der tochterfreundinvater
zwei rauhaardackel
mehrere grenzsoldaten

in trauter vielsamkeit und sortierten aus einem kofferraum in den anderen. sorgsam und pfleglich, stück für stück.

die lebensmittel wurden einzeln kontrolliert, wem gehört welche stange salami, wem welches glas gurken, und wem welcher käse, welche melone, welche limo, der wein ist aber nicht der von den mädchen?

die grosse wäsche, also badetücher, handtücher, pölster, decken, das war alles im fahrgastraum verstaut, alles leicht eingesandet und partiell nach nassem-hund-nach-schlammbad-mit-totem-fisch duftend, teils sassen die mädels darauf, teils die hunde, ein wenig lag auf der hutablage und ein wenig vor und auf dem beifahrersitz.

alles raus und bis auf drei decken ins taxi damit. lebensmittel, badetücher, decken, flaschen, ein wenig hundezubehör, frisbeescheiben etc. waren also schon einmal zumindest gedanklich in österreich.

dann kofferraum wieder auf, das zelt blieb unten liegen, und herr grenzdirektor holte die reisetaschen heraus. die mit der getragenen wäsche, dem waschzeug, und was man sonst noch so mithat.

und dann - noch heute erzeugt der gedanke eine ganz leise gänsehaut - geschah das unglaubliche. herr grenzdirektor besah sich die etiketten. die der wäsche. die der unterwäsche, und zwar einzeln.

die reisetasche der freundin der tochter war unproblematisch, zwar wurde jedes stück einzeln angeschaut, das arme kind wusste nicht ob es rot oder blass oder bewusstlos werden sollte, unterwäsche, badeanzüge, schuhe, schlapfen, alles zurück in die tasche und gut.

dann kam frau kelefs tasche dran, auch da herrschte grosse begeisterung ob der unterwäsche-, bademoden- und t-shirtshow, was gibt es denn auch schöneres als ein paar unbekannte männer die zu mitternächtlicher stunde bei leichtem nieselregen eine getragene unterhose nach der anderen im laternenlicht eines grenzüberganges auseinanderschütteln und von allen seiten begutachten? alles zurück in die tasche und gut.

und dann griff er nach der tasche von frau kelefs tochter, und frau kelef schwante böses, arg böses, und sie blickte den grenzdirektor an, dieser griff nach der ersten unterhose der tochter, beäugte das etikett, er erblasste, er schaute noch einmal genau, und beäugte eine zweite unterhose, ein leibchen, ein t-shirt, und er richtete sich zu doppelter höhe auf, und meinte, unter diesen umständen könne er jetzt gar nichts tun, man müsste auf höhere dienstränge warten, die wären aber erst montags verfügbar. das sei ja unglaublich, eine katastrophe, ein skandal, ...

was geschehen war? nun, das war gar nicht so einfach, oder eigentlich doch, man musste es nur wissen.

in den volksdemokratischen ländern wurde ja viel vom staat gesponsert, besonders kindersachen. und in der zeit ihrer tätigkeit in der ddr hatte frau kelef der tochter eine menge sachen dort gekauft, unter anderem, sie erraten es, wäsche. und kinderwäsche - sie erraten es ebenfalls - war gesponsert und durfte nur ausgeführt werden wenn das betreffende kind auch in dem betreffenden land gelebt hatte. die tochter von frau kelef hatte ja ein paar monate in der ddr gelebt, und also war alles rechtens und mit dem arbeitsvisum der mutter und dem besuchsvisum der tochter war damals eine verbringung ausser landes anstandslos möglich gewesen.

und die qualität war, das muss auch gesagt werden, wirklich hervorragend, ebenso design und passform, und natürlich hatte frau kelef damals die gelegenheit wahrgenommen und ein klitzekleinwenig auf vorrat gekauft, unterwäsche etc. kann man ja nicht genug haben, und wenn die sachen am anfang ein wenig grösser waren: man konnte sie ja auch zwei jahre später anziehen.

aber wie das mit den volkseigenen betrieben (vebs) so war, produzierte ein betrieb für den halben ostblock, quasi, und was in einem land gesponsert wurde, das wurde meist auch in den anderen ländern gesponsert. und ergo war eine menge der in ungarn verkauften kinderwäsche und -kleidung eben aus einem veb der ddr.

und nun stand da ein ungarischer grenzer, genaugenommen standen da mehrere, und jeder hielt mit zur seite geneigtem kopf eine getragene kinderunterhose in der hand und entzifferte die etiketten. veb, veb, veb, leibchen: veb, bluse: veb, t-shirt: veb, badeanzug: veb.

und sie sprachen hmhmhm und tststs,

frau kelef wurde schlecht.

kinderunterwäsche aus ungarn auszuführen sei bei hoher strafe verboten.

ist nicht aus ungarn, ist aus der ddr.

das kann nicht sein.

kann doch, sehr wohl, frau kelef habe in der ddr gearbeitet, das kind sei ebenfalls dort gewesen, alles rechtens.

das kann nicht sein.

wohl. ist sogar ganz sicher so.

ob frau kelef das beweisen könne? weil ansonsten drohten hohe geldstrafen, möglicherweise schlimmeres.

wegen kinderunterhosen?

ja.

klar könne frau kelef das beweisen, aber eigentlich nicht, denn arbeits- und besuchsvisa waren, sie erraten es, in den reisepässen, und die waren in der handtasche gewesen, und die war ja nun nicht mehr da, was ja auslöser dieses lustvollen disputs sei.

also kinderunterwäsche und -kleidung aus ungarn ausführen, das ginge nun aber gar nicht.

die diskussion zog sich eine weile, dann war das glück frau kelef und konsorten doch noch hold:

der wohnungssitter hatte in der eile einfach alle dokumentenmappen mitgenommen, und so fand sich denn zumindest der arbeitsvertrag für die ddr, und im hundedokumentenpool fanden sich ein paar alte grenzübertrittsgesundheitsbescheinigungszeugnisse der poliklinik für kleintiere in eisenhüttenstadt, für die dame elsa, und auch ein paar dokumente zur genehmigung der einfuhr eines fernsehapparates und einer elektrischen nähmaschine des binnenzollamtes frankfurt/oder, und diese wichtigen dokumente aus den jahren 1983/84 belegten den wahrheitsgehalt der getätigten aussagen und somit auch den rechtmässigen besitz der zur debatte stehenden kinderunterhosen und sonstigen kleidungsstücke, und so wurde frau kelef dann doch nicht inhaftiert, sondern durfte weiter sortieren, und sogar die getragenen kinderunterhosen vom lada in das taxi laden.

es war in der zwischenzeit zwei uhr früh geworden, und es regnete in strömen, alle waren pitschepatschenass, die notwendigsten dinge waren im lada, der rest im taxi, man verabschiedete sich, und während der wohnungssitter mit dem taxler nach wien zurückkehrte, da trieb frau kelef wieder einmal alles zu paaren und in den traktor.

leider konnte der vater der tochterfreundin nicht vorschriftsmässig angeschnallt werden weil in einem russischen auto einfach keine so dicken menschen transportiert werden dürfen und also der sicherheitsgurt zu kurz war, die russen scheinen damals ein mageres volk gewesen zu sein, aber wen wundert es. auch ersatzbrile war keine vorhanden, andererseits auch kein führerschein und keine fahrzeugpapiere, eigentlich hätte man - nach geltendem volksdemokratischem recht - den vater der tochterfreundin mit dem zug nach budapest schicken oder hinter dem auto nachlaufen lassen müssen, und frau kelef - die allerdings die einzige führerscheinbesitzerin - eigentlich ja aber auch nicht - war, hätte also den wagen nicht lenken dürfen, aber sei's drum, dachte sie , und man fuhr erst zu einer tankstelle, tankte voll (selten so auf reserve gefahren wie damals) und dann gen budapest.

sind sie schon einmal, nachdem sie neunzehn oder mehr stunden auf den beinen waren und eines gutteils ihres nervenkostüms verlustig gegangen waren, in einem krängenden lada auf einer zweispurigen volksdemokratischen betonplattenautobahn im strömenden regen ein paar hundert kilometer gefahren, während neben ihnen ein fettkoloss sich im wahrsten sinne des wortes einen wolf schwitzt und ihnen weinerlich/ängstlich ein ohr ablabert, und auf der rückbank zwei schluchzende, sich gegenseitig abwechselnd beschuldigende und tröstende elfjährige sowie zwei schon ziemlich übellaunige rauhaardackel um den nichtvorhandenen platz streiten?

wenn sie können: vermeiden sie dies.

to be continued.

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ich dachte, die taxifahrt war kostenpflichtig?
und warum verheimlichen sie die gedanken, die sie hegten, als der grenzer die wäschestücke einzeln inspizierte?

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schrub ich die taxifahrt sei kostenlos gewesen? war sie natürlich nicht. aber da man ja dazusagen musste was das vorhaben war gestaltete es sich nicht so einfach überhaupt jemanden für diese fuhre zu verpflichten.

die gedanken, die ich hegte, kann sich jeder selber ausmalen. würde ich diese niederschreiben, hätte ich vermutlich einen gewissen erklärungsbedarf wegen beleidigung et al.

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Haben
Sie sich damals eigentlich die Rechte am Ausdruck "Abenteuerurlaub" gesichert, Frau Kelef?

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herr sethos, das habe ich tatsächlich vergessen.

aber wenn ich so zurückdenke, fällt die geschichte ja teilweise in das kapitel "grenzerfahrungen", und da hab ich noch ein paar sachen auf lager.

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Ich bin Sethos, das war der Pathologe. Aber macht nix, 'th' ist 'th'.

Und ich finde diese Fortsetzungsgeschichte auch klasse!!

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herr sethos, herr pathologe: verzeihen sie mir bitte beide. ich tu das auch nicht wieder, sie sind mir doch beide ans herz gewachsen!

ich hab einfach zu viele comments hintereinander beantwortet, und wenn mir dat julchen dann auch noch beim scrollen hilft (sie meint, maus ist maus und daher ihr eigentum), dann passiert so was schon einmal.

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ich bewundere Sie sehr, aber das wussten sie womöglich bereits.

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frau marion, ich bin nicht zu bewundern. aber trotzdem: vielen dank.

ich tu nur immer das, was notwendig ist ...

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und das ist nicht eben immer leicht.

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einige passagen sind mir sehr vertraut, frau kelef sie haben kein bisschen übertrieben. ihr glück war, dass der diebstahl in ungarn passiert ist. wäre ihnen das ungeschick einige kilometer nördlicher zugestoßen..., oh gott! ich hoffe, sie wissen schon was ich damit andeuten will.

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das dachte ich, dass ihnen die geschichte gefällt.

und ich weiss natürlich, was sie meinen.

aber der clou kommt ja eigentlich noch, warten sie nur, balde.

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