Dienstag, 22. November 2005
also so
kelef, 21:55h
war das nicht:
http://wien.orf.at/stories/71927
zumindest fehlt da ein wenig bei der geschichte. seltsamerweise berichten bislang alle berichtenden wortgleich.
wer hat da wem was warum vorgeschrieben?
merkwürdig.
http://wien.orf.at/stories/71927
zumindest fehlt da ein wenig bei der geschichte. seltsamerweise berichten bislang alle berichtenden wortgleich.
wer hat da wem was warum vorgeschrieben?
merkwürdig.
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Es lebte einmal ein Samurai mit seiner alten Frau
kelef, 19:07h
Übersetzung aus dem Russischen
(Ein Weiblein gibt den Ehemann zurück an Japan, aber Russland nicht die Kurilen)
Dieser alten russischen Frau werden in Japan Gedichte und Filme gewidmet. Zwei Romane mit hieroglyphenverzierten Umschlägen wurden über die 84-jährige Klavdia Novikova, Einwohnerin der winzigen fernöstlicher Siedlung Progress, die weltweit auf keiner Landkarte zu finden ist, geschrieben. Sie vollbrachte keinerlei Heldentat. Doch das Geheimnis von Oma Klavas Seele bereitet mächtiges Kopfzerbrechen, und zwar den schmaläugigen hochstirnigen Psychologen, die das Thema zum Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Dissertationen machen und vergeblich zu begreifen versuchen: warum tat sie das? Ohne grosse Umstände und aus freien Stücken gab sie ihren geliebten Mann, mit dem sie beinah ein halbes Jahrhundert zusammenlebte, an eine andere Frau zurück. An seine erste Ehefrau. Eine Japanerin namens Hisako. Und blieb dabei selbst einsam.
Die Japanerin Hisako verlor ihren Mann ‚46 in Korea: Yasaburo Hachija, ein Samurai, wurde von den Sowjets wegen Spionage verurteilt. Nur ein Jahr waren sie verheiratet. Hisako verstand, dass dies ein Abschied für immer war: damals wurden Tausende japanische Kriegsgefangene in Eisen gelegt und nach Russland transportiert. Aber lebend zurückgekommen sind die wenigsten.
Auch ihr Yasaburo kam nicht zurück. Nicht dass er umgekommen wäre. Es hatte sich einfach so ergeben.
Und keiner hatte Schuld.
Im anderen, neuen Leben hiess Yasaburo Hachija dann Jakov Ivanovitsch und war der einzige Damenfriseur in der Siedlung Progress. Und der ganze Stolz seiner russischen Ehefrau Klavdia.
— Wir beide — Hisako und ich — waren seine gesetzlichen Ehefrauen, — seufzt Klavdia Leonidovna. — Als mich Jascha (Koseform von Jakov, Anm.) nach seiner Entlassung aus dem Lager heiratete, dachte er, dass alle seine Verwandten in koreanischen Gefängnissen umgekommen sind. Aber die erste Ehefrau Hisako beweinte ihren Yasaburo all diese Jahre, in denen ich mit ihm glücklich war. Ich habe also Hisako nicht ihren Mann zurückgegeben, ich habe nur eine alte Schuld beglichen.
Wer gibt aber Oma Klava die Schulden zurück?
Ihr Haus ist von weisser Einsamkeit umgeben. Vorm Fenster das erste Schneetreiben in dieser Gegend. Und kein Mensch mehr, auf den sie warten könnte.
…An der gestrichenen Wand hängen, wie Ikonen, Fotos: das eine en profil — Stalin, der "Vater der Völker", en face — der geliebte Mann Yasaburo-Jakov; zwei wichtige Menschen, die ihr Leben auf den Kopf stellten.
Ungleiche Schicksale
Das waren damals Geschichten über Verluste ohne Ende.
Anfang der 20-er blieb das aus dem Gebiet Kursk stammende Mädchen Klava (Koseform von Klavdia, Anm.) ohne Eltern. Die Mutter starb bei Klavas Geburt. Der Vater, ein vermögernder Bauer, wurde Repressalien ausgesetzt und schliesslich hingerichtet. Viele Jahre danach schämte sich Klavdia immer noch zuzugeben, dass sie Tochter eines Kulaken (Bauern, Anm.) sei.
— Fremde Leute nahmen mich auf, gaben mir ihren Namen, — erinnert sich jetzt Klavdia Leonidovna. — Und nichts mehr erinnerte mich an meine Eltern. Als junges Mädchen dachte ich, dass ich für diese unbegleichbare Schuld meines Vaters vor unserem grossen Land abbüssen müsste.
Darum folgte Klava mit 18 Jahren dem Aufruf der Jugendorganisation zur Aufbau der Stadt Komsomolsk-am-Amur und war in den ersten Reihen.
...Ganz anders wuchs in Japan Yasaburo, der älteste Sohn des grossen Fabrikbesitzers Hachija, auf: die Diener redeten den Nachfolger höflich mit "San", in die Schule wurde er mit der Rikscha geführt, sogar sein Kindermädchen hatte Privilegien gegenüber den Kindermädchen der anderen fünf Geschwister.
Aber gerade als er 12 wurde, geriet sein Vater, der Fabrikbesitzer, in Streit mit dem Familienoberhaupt, dem Grossvater. Und aus Rache trieb der alte Herr die Familie in den Ruin.
— Meine Brüder und meine Schwerstern wurden aus dem Haus gejagt, — erzählte später Jakov Ivanovitsch. — Mutter packte für jedes Kind einen Schultersack, wir durften nur Kleidung mitnehmen. Und der Grossvater schaute uns nicht einmal nach.
Verglichen mit der schweren Kindheit Yasaburos kommt Oma Klava ihre eigene eng mit der Komsomolbewegung verbundene, Jugend irgendwie vor wie ein wunderschöner Traum.
— Während des Sozialismus hatten wir ein fröhliches Leben, wir waren zwar arm, aber dafür alle gleich — danke dafür dem Genossen Stalin! — ruft sie offenherzig. Klavdia heiratete einen braven Burschen, der Sohn Valeri wurde geboren. 15 Tage alt war er, als sein Vater ‚41 an die Front musste.
— Tagsüber arbeitete ich mit dem Jugendstosstrupp am Bau, und am Abend drehte ich meine Runden im Gemeinschaftheim und überredete Männer, mir für läppisches Geld ihre Unterwäsche zum Waschen zu geben. Meinen kleinen Sohn wickelte ich in Fetzen, damit er nicht fror und liess ihn allein am Ofen. Eines Tages kam ich von der Arbeit und fand unser Kämmerchen voll Rauch. Die Windel, die über dem Ofen zum Trocknen aufhägt war, war heruntergefallen auf meinen Sohn und hatte Feuer gefangen. Ich konnte ihn gerade noch ins Freie bringen!
Nur einmal hatte Klava das grosse Los gezogen: sie bekam eine Oberbuchhalterstelle in einer Lebensmittellhandlung. Aber schon nach einem Monat war sie dran wegen Unterschlagung. Viele haben damals gestohlen. Einige, wie die Leiter der Handelslager, langten ordentlich hin. Die kleinen Lichter aber holten sich gerade den Brotstaub, um ihren hungrigen Kindern die Mäuler zu stopfen. Ausgerechnet die kleinen Lichter wurden belangt...
Klavdia Novikova kam vors Strafgericht. Daher wurde sie nicht wie Feinde des Volkes zur Hinrichtung verurteilt, sonden bekamm "läppische" sieben Jahre.
Um ganze drei Jahre weniger als der japanische Spion Yasaburo Hachija.
War nicht auf der Liste
Nach Nordkorea kam der Samurai Yasaburo wegen seiner Liebe. Die wohlhabenden Eltern seines Mädchens Hisako wünschten keine Bindung mit der Familie des bankrotten Fabrikanten Hachija. Und die jungen Leute rissen aus.
Nach neun Monaten bekamen Yasaburo und Hisako ihre Tochter Kumiko. Es gab nichts zu essen, Japan lag nach dem 1. Weltkrieg in Ruinen. Auf der Suche nach besserer Zukunft zogen die Jungvermählten mit ihrem Säugling zum Geld verdienen nach Korea, wo Yasaburo-San jede Gelegenheitsarbeit annahm, um die Familie durchzubringen.
Man könnte die damalige Reise eines glücksuchenden Japaners in das unter sowjetischer Schirmherrschaft lebende sozialistisches Korea mit dem heutigen Umzug eines Russen nach ... Tschetschenien vergleichen. Die Koreaner litten lange Jahre unter der japanischen Basatzung und vermuteten in jedem Japaner einen Auskundschafter.
Dieser Kelch ging auch nicht am Herren Hachija vorbei. Einer seiner Bekannten, der bei ihm und Hisako oft die Abende bei grünem Tee verbrachte, wurde denunziert und vom sowjetischen Sicherheitsapparat wegen Spionage verurteilt.
Und, wie es damals üblich war, er zog auch seine Freunde mit auf die Lagerpritsche...
Bald warf man auch Yasaburo hinter Gitter.
— Wir beide, Jascha und ich, sassen in der Gegend von Magadan — man brachte ihn dorthin aus Korea zur Abbüssung seiner Strafe, aber damals trafen wir uns nicht, — lächelt Klavdia Leonidovna. — In meinem Lager bekam ich einen Job als Sanitäterin im dortigen Krankenrevier, es war, Gott sei Dank, ein guter Arbeitsplatz, im Warmen und nicht in der Taiga beim Holzfällen. Ich entnahm Proben bei Sträflingen, sei es vom Auswurf bei TBC-Kranken, vom Magensaft oder für Analysen bei Verdacht auf Syphilis oder Gonorrhöe…
Nach ihrer Entlassung fuhr Klava mit ihrem kleinen Sperrholzkoffer zurück in die Heimatstadt Komsomolsk, aber ihr geliebter Mann, der nach dem Krieg mit Heldenehren zurückkehrte, war bereits mit einer anderen verheiratet. Ihr Sohn Valeri wuchs auf in einer fremden Familie. "Wozu bist du zurückgekommen?!" — sagten die näheren Bekannten und wendeten ihre gleichgültigen Blicke ab.
Tief in ihrer Seele fand Klavdia Rechtfertigung für ihre Nächsten: sicher doch, nur sie selbst war daran schuld, dass sie ihnen nach Jahren dieser gezwungenen Trennung ganz fremd geworden war, nur sie selbst...
Eine Zeit lang weinte Klava — dann verbarg sie ihren Schmerz vor den anderen und versuchte im neuen Leben Fuss zu fassen. Yasaburo dagegen, der die Sünden seines Landes mit der langjährigen Strafe abgebüsst hatte, durfte nicht in die Freiheit.
Nach seiner Entlassung Ende der 50-er wartete er in Magadan auf den Abtransport in die Heimat. "Ihr Name steht aber nicht im Lagerarchiv", — taten die Nullen mit Schulterklappen, die für die Rückführungspapiere entlassener Ausländer zuständig waren, verwundert.
Und es war, als hätte er selbst den früheren Yasaburo-San, wie vorhin die KGB-Offiziere, aus der Liste der Lebenden wegradiert. Er blieb in Russland. Er änderte seinen Namen. Er liess sich einen Bart wachsen, hörte auf sich zu waschen und zu pflegen. Einige Male veresuchte Yasaburo Harakiri zu begehen, aber ohne Erfolg. Er traf sich mit russischen Frauen und verliess sie immer wieder, das Foto der blutjungen Hisako im teuren Hochzeitskimono immer in der Tasche seiner alten Jacke.
Er war sicher: nach seiner Gerichtsverhandlung starben Hisako und Kumiko vor Hunger, immerhin war seine verwöhnte und kränkelnde Frau nicht gewöhnt, das tägliche Leben selbst zu meistern.
Er konnte sich nicht mehr an ihre Gesichtszüge erinnern, auch nicht an ihre Art oder ihre Angewohnheiten. Wegen der kurzen Bekanntschaft von der ersten Begegnung bis zur Hochzeit kannte Yasaburo-San seine Hisako viel zu wenig, um sie nach wie vor lieben zu können, tot oder lebend, der jahrelangen Trennung und der Entfernung trotzend.
Mit der Zeit verblasste das Gesicht seiner Frau auf dem Schwarz-Weiss Foto. Und manchmal glaubte er, dass Hisako niemals existiert hätte.
In sein Herz zog das Bild einer anderen Frau ein.
— Zum ersten Mal traf ich Jascha ‚59 im Speisesaal des Prophylaktoriums, — erinnert sich Klavdia. — Ich wurde für gute Arbeitsleistungen von den Vorgesetzten zur Erholung hingeschickt. Ich war schon fast 40, lebte allein und dachte nicht mehr ans Heiraten. Ich glaubte auch keinem Mann. Und was für eine Partie konnte ich schon finden mit meiner Biographie?...
Um so seltsamer war es, als sie dem über seinen Teller Fischsuppe gebeugten Mann am Nebentisch überhaupt Beachtung schenkte. Der Fremde war ungepflegt und dreckig, doch die Art, wie er seinen Löffel hielt, verriet eine Noblesse, als wäre das der Pinsel in der Hand eines Künstlers. Unwillkürlich konnte Klavdia ihre Augen nicht von seinen Bewegungen abwenden: "Was ist das für ein Landsmann? Ein Kirgise ? Ein Burjate?"
— Ich bin ein ehemaliger Japaner, — und Jakov lud Klavdia ein zu einem Spaziergang im Park. Er half ihr in den Mantel und reichte ihr galant die Hand.
— Am Anfang hatten wir gar nichts miteinander. Ich war bissig und konnte nicht auftauen. Ihm ging es genauso. Die ganze Zeit las er von irgendeinem Dichter übersetzte Gedichte über seine Heimat. Zum Abschied bat mich Jakov um meine Adresse. Ich erwartete von ihm nichts, keine Gefühle, kein Verhältnis, keine Briefe...
Wieder in der Arbeit, entnahm Klavdia wie immer Analysenproben in der Siedlungsklinik. Doch eines Tages ging die Tür auf und Jakov trat ein in das Sprechzimmer. "Ich werde als Scheuermann arbeiten, ich werde Frauen frisieren, egal welche Arbeit, Hauptsache ich bin mit dir, Klava!" — sagte er zu ihr. Er war gekommen und es war als wäre er schon immer an ihrer Seite gewesen, das Herz taute auf. "Aber der Bart muss weg", — schüttelte Klavdia mit dem Kopf. Und irgendwan standen sie vor dem Standesbeamten...
"Wir sind wie zwei Ufer…"
Sie lebten lange und glücklich zusammen — 37 Jahre. Jakov Hachija, der einzige Friseur der fernöstlichen Siedlung Progress. Und eine einfache russische Frau, Klavdia Novikova.
Anscheinend hofften sie, dass sie auch am selben Tag sterben würden.
…Eines Winters, am Beginn der Perestrojka, brachte Jakov Ivanovitsch zwei Särge aufgestapelt auf einem Rodelschlitten nach Hause. Er trug die Särge auf den Dachboden und bedeckte sie, damit sie nicht verstaubten, mit einer Plastikfolie. Bis die Zeit kommt. Doch die Zeit ist nicht gekommen.
Vor kurzem musste Oma Klava einen der Särge verkaufen. Ihr Jakov ging nach Japan. Zu seiner ersten Frau Hisako.
Obwohl ihn Klavdia hütete wie ihren Augapfel.
— So einen Mann wie meinen Jascha findest du nicht in unserer Gegend. Ich wurde von Frauen beneidet, vom ganzen Gebiet Amur kamen sie zu ihm Haare schneiden, dazu trank er nicht und rauchte nicht, und er konnte akupunktieren.
Gott schenkte ihnen keine gemeinsamen Kinder.
— Jascha war für mich mein geliebter Mann und mein leiblicher Sohn, — klagt Oma Klava. — Als Jakov Ivanovitsch 60 wurde, schickte ich ihn noch am selben Tag in die Pension, in seinen wohlverdienten Ruhestand. Ohne pflegende Hand schafft ein Mannsbild nicht lange...
Sie bekamen einen Schrebergarten zugewiesen — sechs Ar in den Hügelkuppen hinter der Siedlung. Oma Klava hat allein die Erde gelockert und Erdbeeren gesetzt. Sie bepflanzte den Garten mit Himbeersträuchen, Stachelbeesträuchern und Birnenbäumen (die Birnen gerieten schmackhaft und gross wie die Glühlampen) — und das alles, um Jakov Ivanovitsch zu verwöhnen.
"Wir beide sind wie zwei Ufer eines Flusses, Klavdia", — stimmte Jakov Ivanovitsch hin und wieder sein russisches Lieblingslied an. Samstags setzte er seine Frau in den Beiwagen seines Motorrads und fuhr mit ihr in die Wälder: "Lass uns zuhören wie die Zederbäume in der Stille wachsen!"
— All diese Jahre glaubte mein Jascha nicht, dass er irgendwann in seine Heimat zurückgeht, — ächzt Oma Klava. — E wollte seine Vergangenheit vergessen lassen. Die Einheimischen wussten allerdings, dass er ein Japaner ist, manche vermuteten sogar in ihm einen Spion. Aber er sagte selber zu mir, dass er sich nicht nach seinem Zuhause sehnt. Warum solle er dorthin zurückkehren? Zu wem? Doch hin und wieder sah ich wie sich mein Jaschenka ans Fenster setzte, eine Praline auswickelte und ganz vorsichtig aus dem Papier einen federleichten Kranich faltete...
Einen kleinen japanischen Kranich, ein Sinnbild der Zerbrechlichkeit eines Glücks.
Eine leichte Berührung und schon ist er zerrissen.
1996 rief bei ihnen ihre Bekannte aus der Siedlung an, die gerade in Chabarowsk zu Besuch war. Bei den Gastgebern lernte sie zufällig einen Japaner kennen und verriet ihm ganz stolz: in unserer Siedlung, weit weg von da, haben wir unseren eigenen Japaner. Er heisst Jakov Ivanovitsch!
— Ein Japaner kann nicht so heissen, — lachte der Samurai. Aber die Chabarowskbesucherin griff bereits in die Telefonscheibe.
"Tante Klavdia, ihr Mann soll irgendwas über sich und seine Familie schreiben, in Hieroglyphen, — drängte sie. — Wir werden seine Verwandschaft suchen!"
— Jascha wollte nicht schreiben, aber ich zwang ihn dazu, — stöhnt Oma Klavdia. — Mir fielen seine Papierkraniche ein und wie er sie am Fenster schlichtete...
Es dauerte einige Jahre bis der offizielle Bescheid aus Japan kam. Aber bereits eine Woche danach klingelte bei ihnen das Telefon: die einzige Tochter Yasaburo Hachijas, eine betagte japanische Frau namens Kumiko, wurde gefunden. Gefunden wurden auch seine Geschwister und andere Verwandte.
Und seine Frau, das Mädchen von dem verblassten Foto, heute aber ganz alt und krank, lag in diesem Moment im Sterben in einem Krankenhaus. Und alles was sich Hisako noch im Leben wünschte, war das persönliche Abschiednehmen von ihrem wiedergefundenen Mann.
Gruss aus der Vergangenheit
Klavdia Leonidovna trinkt Tee aus der bunten eisernen Thermosflasche, die ihr Jakov Ivanovitsch aus seinem märchenhaften fernen Japan geschickt hat. Sie füllt das gekaufte inländische Shampoo in schöne leere Dosen mit hieroglyphenbedruckter Vorderseite. Auch diese, damals noch mit Inhalt, kamen per Post von ihrem Exgatten.
Anfang nächstes Jahres sind es bereits neun Jahre seit der Abreise von Herrn Hachija nach Japan. "Ich brachte ihn selbst zum Zug", — betont Oma Klava.
Seine Tochter ist gekommen, um ihren Vater zur Rückkehr nach Japan zu überreden. Kumiko brachte mehrere Koffer mit Töpfen, Schüsseln und Reis, einen Fernseher und einen ganzen Haufen unnötige Kleinigkeiten mit: man hatte sie mit den Erzählungen, dass Menschen im russischen Fernen Osten hungern müssen, erschreckt.
— Mutter wartete ihr ganzes Leben lang auf sie, — sagte Kumiko zum Vater. — Sie erlaubte sich nicht vor Ihrer Rückkehr aus der Verbannung zu sterben. Sie eröffnete mehrere Konten auf Ihren Namen und regelte den Nachlass zu Ihren Gunsten. Sie war sicher, dass sie sie früher oder später noch einmal sehen würde!
Die ganze Nacht hindurch faltete der alte Jakov mit seiner 50-jährigen Tochter feinflügelige Kraniche aus dem Pralinenpapier. Leise besprachen sie etwas. Man verdolmetschte Klavdia Leonidovna sinngemäss: Jakov Ivanovitsch will nicht zurück und Kumiko versucht ihn zu überreden.
Ohne dass sie es selbst von sich erwartet hätte, fiel Klava vor ihrem Mann auf die Knie: "Fahr hin, um Gottes Willen, Jaschenka, fahr hin! Du kannst doch auf deine alten Tage noch ein menschenwürdiges Leben haben".
Aber Yasaburo flehte sie auf Russisch an: "Vertreib mich nicht aus dem Haus, Klavdia, ich möchte nicht hin!"
Sie wollte ihm aber nicht eimal zuhören. Sie liess ihm einen Reisepass ausstellen, wofür sie extra zum Konsulat nach Chabarowsk fahren musste. Sie reichte die Scheidung ein, ohne die Jakov Ivanovitsch Schwierigkeiten hätte, die Besitzrechte auf gemensames Eigentum mit seiner wiedergefundenen japanischen Familie zu erlangen.
Und der schreckliche Tag ist gekommen, der 27. März 1998, als Jakov Ivanovitsch seiner Klava aus dem Waggon des Chabarowsker Zugs zum Abschied winkte.
— Ich nahm mich zusammen und vertröstete mich mit dem Gedanken, dass ich alles richtig tue, — erklärt Klavdia Leonidovna. — Ich möchte nicht, dass mich Jaschenka in seinem Herzen eines Tages beschuldigt, er hätte meinetwegen die Chance nicht wahrgenommen nach Hause zu kommen und seine Leute zu sehen. Ich bin selbst ein Waisenkind, ich würde für so ein Wiedersehen vieles geben... Ich begleitete meinen Mann wie in den Krieg. Ich lachte und scherzte, ich sang ihm das Lied über die zwei Ufer, nur damit er nicht bemerkte, wie schwer es für mich war. Er ist der schwächere von uns, der Abschied täte ihm weh. Später wird es schon leichter! Und ich, ich bin stark, ich halte alles aus. Erst am Abend, als alle gingen, liess ich mich rücklings aufs Bett fallen und erst jetzt begann ich zu heulen...
"Arigatoo!" — sagte sie ihm zum Abschied.
Es heisst auf Japanisch "danke”. Das war das einzige fremdsprachige Wort, das Klavdia in ihrem langen gemeinsamen Leben von Jakov gelernt hatte. "Der letzte Japaner verliess Amurs Ufer" — lautete der Titel eines Artikels in der Lokalzeitung. "Irgenwie schaffe ich es schon allein, Hauptsache, meinem Jaschenka wird es gutgehen", — wimmert Klavdia Leonidovna.
Nun hat Oma Klava keine Verwandtschaft mehr in der Siedlung Progress. Und überhaupt auf der ganzen Welt. Sie ist allein. Ihr einziger Sohn, der 64-jährige Valeri, ist in disem Sommer umgekommen. Jetzt ist Oma Klava sogar bereit, ihr Haus an fremde Leute zu überschreiben — gegen Pflege und Versorgung.
Nur Jakov Ivanovitsch — Yasaburo-San — soll davon nichts erfahren. Er wird sicher glauben, dass bei ihr alles bestens läuft. Er lädt sie ein zum Besuch in Japan. Und sie plant entschlossen, zum Neujahr hinzufahren — sie müssen sich, wie sie in aller Ruhe überlegt, ordentlich voneinander verabschieden...
Immerhin ist sie schon 84. Und er sogar 88. Allerdings, in Japan, so sagt man, leben alte Menschen sehr lange und das in Wohlstand und Zufriedenheit. Aber sie ist doch in Russland.
Und die erste Frau Yasaburos lebt immer noch. Als Hisako ihren Mann erblickte, ging es mit ihr bergauf, obwohl sie noch immer schwer krank ist. Daher kann Jakov Ivanovitsch sie auf keinen Fall allein lassen und die alte Klava in Russland besuchen.
Aber jeden Samstag lässt sich Herr Hachija telefonisch mit der Siedlung Progress verbinden, um die bekannte Stimme zu hören. "Wie ist es dort bei euch in Japan, vielleicht windig? Binde deinen Schal fester, sonst verkühlst du dich noch. Grüsse von mir deine Hisako-San, gesund soll sie werden. Bei mir ist alles bestens, sorge dich nicht, Jaschenka!"
* * *
Über das seltsame Weiblein Klavdia Novikova erzählt man in Japan Legenden.
Aber bei allen Anstrengungen ihre Seele gründlich zu erforschen können diese klugen Japaner kaum verstehen: worin besteht doch unser grösstes Geheimnis?
Und warum können wir ihnen die Kurilen, die wir im Prinzip gar nicht brauchen, nicht zurückgeben, wo sich doch ein einfaches russisches Weiblein so leicht vom geliebten Mann verabschieden konnte?
Naiv wie sie sind, glauben sie im Ernst, dass es für dieses Rätsel eine logische Losung gibt.
Mit ihren runzeligen Händen streichelt Klavdia Leonidovna den kleinen pralinenfarbigen Körper des japanischen Papierkranichs und gleitet mit den Fingern über seine zarten Flügel. Sie spricht mit ihm wie mit einem kleinen Kind in einer nur ihnen allein bekannten Sprache.
...Und sie lebt von einem Samstag bis zum nächsten.
Von einem Anruf bis zum nächsten.
(Ein Weiblein gibt den Ehemann zurück an Japan, aber Russland nicht die Kurilen)
Dieser alten russischen Frau werden in Japan Gedichte und Filme gewidmet. Zwei Romane mit hieroglyphenverzierten Umschlägen wurden über die 84-jährige Klavdia Novikova, Einwohnerin der winzigen fernöstlicher Siedlung Progress, die weltweit auf keiner Landkarte zu finden ist, geschrieben. Sie vollbrachte keinerlei Heldentat. Doch das Geheimnis von Oma Klavas Seele bereitet mächtiges Kopfzerbrechen, und zwar den schmaläugigen hochstirnigen Psychologen, die das Thema zum Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Dissertationen machen und vergeblich zu begreifen versuchen: warum tat sie das? Ohne grosse Umstände und aus freien Stücken gab sie ihren geliebten Mann, mit dem sie beinah ein halbes Jahrhundert zusammenlebte, an eine andere Frau zurück. An seine erste Ehefrau. Eine Japanerin namens Hisako. Und blieb dabei selbst einsam.
Die Japanerin Hisako verlor ihren Mann ‚46 in Korea: Yasaburo Hachija, ein Samurai, wurde von den Sowjets wegen Spionage verurteilt. Nur ein Jahr waren sie verheiratet. Hisako verstand, dass dies ein Abschied für immer war: damals wurden Tausende japanische Kriegsgefangene in Eisen gelegt und nach Russland transportiert. Aber lebend zurückgekommen sind die wenigsten.
Auch ihr Yasaburo kam nicht zurück. Nicht dass er umgekommen wäre. Es hatte sich einfach so ergeben.
Und keiner hatte Schuld.
Im anderen, neuen Leben hiess Yasaburo Hachija dann Jakov Ivanovitsch und war der einzige Damenfriseur in der Siedlung Progress. Und der ganze Stolz seiner russischen Ehefrau Klavdia.
— Wir beide — Hisako und ich — waren seine gesetzlichen Ehefrauen, — seufzt Klavdia Leonidovna. — Als mich Jascha (Koseform von Jakov, Anm.) nach seiner Entlassung aus dem Lager heiratete, dachte er, dass alle seine Verwandten in koreanischen Gefängnissen umgekommen sind. Aber die erste Ehefrau Hisako beweinte ihren Yasaburo all diese Jahre, in denen ich mit ihm glücklich war. Ich habe also Hisako nicht ihren Mann zurückgegeben, ich habe nur eine alte Schuld beglichen.
Wer gibt aber Oma Klava die Schulden zurück?
Ihr Haus ist von weisser Einsamkeit umgeben. Vorm Fenster das erste Schneetreiben in dieser Gegend. Und kein Mensch mehr, auf den sie warten könnte.
…An der gestrichenen Wand hängen, wie Ikonen, Fotos: das eine en profil — Stalin, der "Vater der Völker", en face — der geliebte Mann Yasaburo-Jakov; zwei wichtige Menschen, die ihr Leben auf den Kopf stellten.
Ungleiche Schicksale
Das waren damals Geschichten über Verluste ohne Ende.
Anfang der 20-er blieb das aus dem Gebiet Kursk stammende Mädchen Klava (Koseform von Klavdia, Anm.) ohne Eltern. Die Mutter starb bei Klavas Geburt. Der Vater, ein vermögernder Bauer, wurde Repressalien ausgesetzt und schliesslich hingerichtet. Viele Jahre danach schämte sich Klavdia immer noch zuzugeben, dass sie Tochter eines Kulaken (Bauern, Anm.) sei.
— Fremde Leute nahmen mich auf, gaben mir ihren Namen, — erinnert sich jetzt Klavdia Leonidovna. — Und nichts mehr erinnerte mich an meine Eltern. Als junges Mädchen dachte ich, dass ich für diese unbegleichbare Schuld meines Vaters vor unserem grossen Land abbüssen müsste.
Darum folgte Klava mit 18 Jahren dem Aufruf der Jugendorganisation zur Aufbau der Stadt Komsomolsk-am-Amur und war in den ersten Reihen.
...Ganz anders wuchs in Japan Yasaburo, der älteste Sohn des grossen Fabrikbesitzers Hachija, auf: die Diener redeten den Nachfolger höflich mit "San", in die Schule wurde er mit der Rikscha geführt, sogar sein Kindermädchen hatte Privilegien gegenüber den Kindermädchen der anderen fünf Geschwister.
Aber gerade als er 12 wurde, geriet sein Vater, der Fabrikbesitzer, in Streit mit dem Familienoberhaupt, dem Grossvater. Und aus Rache trieb der alte Herr die Familie in den Ruin.
— Meine Brüder und meine Schwerstern wurden aus dem Haus gejagt, — erzählte später Jakov Ivanovitsch. — Mutter packte für jedes Kind einen Schultersack, wir durften nur Kleidung mitnehmen. Und der Grossvater schaute uns nicht einmal nach.
Verglichen mit der schweren Kindheit Yasaburos kommt Oma Klava ihre eigene eng mit der Komsomolbewegung verbundene, Jugend irgendwie vor wie ein wunderschöner Traum.
— Während des Sozialismus hatten wir ein fröhliches Leben, wir waren zwar arm, aber dafür alle gleich — danke dafür dem Genossen Stalin! — ruft sie offenherzig. Klavdia heiratete einen braven Burschen, der Sohn Valeri wurde geboren. 15 Tage alt war er, als sein Vater ‚41 an die Front musste.
— Tagsüber arbeitete ich mit dem Jugendstosstrupp am Bau, und am Abend drehte ich meine Runden im Gemeinschaftheim und überredete Männer, mir für läppisches Geld ihre Unterwäsche zum Waschen zu geben. Meinen kleinen Sohn wickelte ich in Fetzen, damit er nicht fror und liess ihn allein am Ofen. Eines Tages kam ich von der Arbeit und fand unser Kämmerchen voll Rauch. Die Windel, die über dem Ofen zum Trocknen aufhägt war, war heruntergefallen auf meinen Sohn und hatte Feuer gefangen. Ich konnte ihn gerade noch ins Freie bringen!
Nur einmal hatte Klava das grosse Los gezogen: sie bekam eine Oberbuchhalterstelle in einer Lebensmittellhandlung. Aber schon nach einem Monat war sie dran wegen Unterschlagung. Viele haben damals gestohlen. Einige, wie die Leiter der Handelslager, langten ordentlich hin. Die kleinen Lichter aber holten sich gerade den Brotstaub, um ihren hungrigen Kindern die Mäuler zu stopfen. Ausgerechnet die kleinen Lichter wurden belangt...
Klavdia Novikova kam vors Strafgericht. Daher wurde sie nicht wie Feinde des Volkes zur Hinrichtung verurteilt, sonden bekamm "läppische" sieben Jahre.
Um ganze drei Jahre weniger als der japanische Spion Yasaburo Hachija.
War nicht auf der Liste
Nach Nordkorea kam der Samurai Yasaburo wegen seiner Liebe. Die wohlhabenden Eltern seines Mädchens Hisako wünschten keine Bindung mit der Familie des bankrotten Fabrikanten Hachija. Und die jungen Leute rissen aus.
Nach neun Monaten bekamen Yasaburo und Hisako ihre Tochter Kumiko. Es gab nichts zu essen, Japan lag nach dem 1. Weltkrieg in Ruinen. Auf der Suche nach besserer Zukunft zogen die Jungvermählten mit ihrem Säugling zum Geld verdienen nach Korea, wo Yasaburo-San jede Gelegenheitsarbeit annahm, um die Familie durchzubringen.
Man könnte die damalige Reise eines glücksuchenden Japaners in das unter sowjetischer Schirmherrschaft lebende sozialistisches Korea mit dem heutigen Umzug eines Russen nach ... Tschetschenien vergleichen. Die Koreaner litten lange Jahre unter der japanischen Basatzung und vermuteten in jedem Japaner einen Auskundschafter.
Dieser Kelch ging auch nicht am Herren Hachija vorbei. Einer seiner Bekannten, der bei ihm und Hisako oft die Abende bei grünem Tee verbrachte, wurde denunziert und vom sowjetischen Sicherheitsapparat wegen Spionage verurteilt.
Und, wie es damals üblich war, er zog auch seine Freunde mit auf die Lagerpritsche...
Bald warf man auch Yasaburo hinter Gitter.
— Wir beide, Jascha und ich, sassen in der Gegend von Magadan — man brachte ihn dorthin aus Korea zur Abbüssung seiner Strafe, aber damals trafen wir uns nicht, — lächelt Klavdia Leonidovna. — In meinem Lager bekam ich einen Job als Sanitäterin im dortigen Krankenrevier, es war, Gott sei Dank, ein guter Arbeitsplatz, im Warmen und nicht in der Taiga beim Holzfällen. Ich entnahm Proben bei Sträflingen, sei es vom Auswurf bei TBC-Kranken, vom Magensaft oder für Analysen bei Verdacht auf Syphilis oder Gonorrhöe…
Nach ihrer Entlassung fuhr Klava mit ihrem kleinen Sperrholzkoffer zurück in die Heimatstadt Komsomolsk, aber ihr geliebter Mann, der nach dem Krieg mit Heldenehren zurückkehrte, war bereits mit einer anderen verheiratet. Ihr Sohn Valeri wuchs auf in einer fremden Familie. "Wozu bist du zurückgekommen?!" — sagten die näheren Bekannten und wendeten ihre gleichgültigen Blicke ab.
Tief in ihrer Seele fand Klavdia Rechtfertigung für ihre Nächsten: sicher doch, nur sie selbst war daran schuld, dass sie ihnen nach Jahren dieser gezwungenen Trennung ganz fremd geworden war, nur sie selbst...
Eine Zeit lang weinte Klava — dann verbarg sie ihren Schmerz vor den anderen und versuchte im neuen Leben Fuss zu fassen. Yasaburo dagegen, der die Sünden seines Landes mit der langjährigen Strafe abgebüsst hatte, durfte nicht in die Freiheit.
Nach seiner Entlassung Ende der 50-er wartete er in Magadan auf den Abtransport in die Heimat. "Ihr Name steht aber nicht im Lagerarchiv", — taten die Nullen mit Schulterklappen, die für die Rückführungspapiere entlassener Ausländer zuständig waren, verwundert.
Und es war, als hätte er selbst den früheren Yasaburo-San, wie vorhin die KGB-Offiziere, aus der Liste der Lebenden wegradiert. Er blieb in Russland. Er änderte seinen Namen. Er liess sich einen Bart wachsen, hörte auf sich zu waschen und zu pflegen. Einige Male veresuchte Yasaburo Harakiri zu begehen, aber ohne Erfolg. Er traf sich mit russischen Frauen und verliess sie immer wieder, das Foto der blutjungen Hisako im teuren Hochzeitskimono immer in der Tasche seiner alten Jacke.
Er war sicher: nach seiner Gerichtsverhandlung starben Hisako und Kumiko vor Hunger, immerhin war seine verwöhnte und kränkelnde Frau nicht gewöhnt, das tägliche Leben selbst zu meistern.
Er konnte sich nicht mehr an ihre Gesichtszüge erinnern, auch nicht an ihre Art oder ihre Angewohnheiten. Wegen der kurzen Bekanntschaft von der ersten Begegnung bis zur Hochzeit kannte Yasaburo-San seine Hisako viel zu wenig, um sie nach wie vor lieben zu können, tot oder lebend, der jahrelangen Trennung und der Entfernung trotzend.
Mit der Zeit verblasste das Gesicht seiner Frau auf dem Schwarz-Weiss Foto. Und manchmal glaubte er, dass Hisako niemals existiert hätte.
In sein Herz zog das Bild einer anderen Frau ein.
— Zum ersten Mal traf ich Jascha ‚59 im Speisesaal des Prophylaktoriums, — erinnert sich Klavdia. — Ich wurde für gute Arbeitsleistungen von den Vorgesetzten zur Erholung hingeschickt. Ich war schon fast 40, lebte allein und dachte nicht mehr ans Heiraten. Ich glaubte auch keinem Mann. Und was für eine Partie konnte ich schon finden mit meiner Biographie?...
Um so seltsamer war es, als sie dem über seinen Teller Fischsuppe gebeugten Mann am Nebentisch überhaupt Beachtung schenkte. Der Fremde war ungepflegt und dreckig, doch die Art, wie er seinen Löffel hielt, verriet eine Noblesse, als wäre das der Pinsel in der Hand eines Künstlers. Unwillkürlich konnte Klavdia ihre Augen nicht von seinen Bewegungen abwenden: "Was ist das für ein Landsmann? Ein Kirgise ? Ein Burjate?"
— Ich bin ein ehemaliger Japaner, — und Jakov lud Klavdia ein zu einem Spaziergang im Park. Er half ihr in den Mantel und reichte ihr galant die Hand.
— Am Anfang hatten wir gar nichts miteinander. Ich war bissig und konnte nicht auftauen. Ihm ging es genauso. Die ganze Zeit las er von irgendeinem Dichter übersetzte Gedichte über seine Heimat. Zum Abschied bat mich Jakov um meine Adresse. Ich erwartete von ihm nichts, keine Gefühle, kein Verhältnis, keine Briefe...
Wieder in der Arbeit, entnahm Klavdia wie immer Analysenproben in der Siedlungsklinik. Doch eines Tages ging die Tür auf und Jakov trat ein in das Sprechzimmer. "Ich werde als Scheuermann arbeiten, ich werde Frauen frisieren, egal welche Arbeit, Hauptsache ich bin mit dir, Klava!" — sagte er zu ihr. Er war gekommen und es war als wäre er schon immer an ihrer Seite gewesen, das Herz taute auf. "Aber der Bart muss weg", — schüttelte Klavdia mit dem Kopf. Und irgendwan standen sie vor dem Standesbeamten...
"Wir sind wie zwei Ufer…"
Sie lebten lange und glücklich zusammen — 37 Jahre. Jakov Hachija, der einzige Friseur der fernöstlichen Siedlung Progress. Und eine einfache russische Frau, Klavdia Novikova.
Anscheinend hofften sie, dass sie auch am selben Tag sterben würden.
…Eines Winters, am Beginn der Perestrojka, brachte Jakov Ivanovitsch zwei Särge aufgestapelt auf einem Rodelschlitten nach Hause. Er trug die Särge auf den Dachboden und bedeckte sie, damit sie nicht verstaubten, mit einer Plastikfolie. Bis die Zeit kommt. Doch die Zeit ist nicht gekommen.
Vor kurzem musste Oma Klava einen der Särge verkaufen. Ihr Jakov ging nach Japan. Zu seiner ersten Frau Hisako.
Obwohl ihn Klavdia hütete wie ihren Augapfel.
— So einen Mann wie meinen Jascha findest du nicht in unserer Gegend. Ich wurde von Frauen beneidet, vom ganzen Gebiet Amur kamen sie zu ihm Haare schneiden, dazu trank er nicht und rauchte nicht, und er konnte akupunktieren.
Gott schenkte ihnen keine gemeinsamen Kinder.
— Jascha war für mich mein geliebter Mann und mein leiblicher Sohn, — klagt Oma Klava. — Als Jakov Ivanovitsch 60 wurde, schickte ich ihn noch am selben Tag in die Pension, in seinen wohlverdienten Ruhestand. Ohne pflegende Hand schafft ein Mannsbild nicht lange...
Sie bekamen einen Schrebergarten zugewiesen — sechs Ar in den Hügelkuppen hinter der Siedlung. Oma Klava hat allein die Erde gelockert und Erdbeeren gesetzt. Sie bepflanzte den Garten mit Himbeersträuchen, Stachelbeesträuchern und Birnenbäumen (die Birnen gerieten schmackhaft und gross wie die Glühlampen) — und das alles, um Jakov Ivanovitsch zu verwöhnen.
"Wir beide sind wie zwei Ufer eines Flusses, Klavdia", — stimmte Jakov Ivanovitsch hin und wieder sein russisches Lieblingslied an. Samstags setzte er seine Frau in den Beiwagen seines Motorrads und fuhr mit ihr in die Wälder: "Lass uns zuhören wie die Zederbäume in der Stille wachsen!"
— All diese Jahre glaubte mein Jascha nicht, dass er irgendwann in seine Heimat zurückgeht, — ächzt Oma Klava. — E wollte seine Vergangenheit vergessen lassen. Die Einheimischen wussten allerdings, dass er ein Japaner ist, manche vermuteten sogar in ihm einen Spion. Aber er sagte selber zu mir, dass er sich nicht nach seinem Zuhause sehnt. Warum solle er dorthin zurückkehren? Zu wem? Doch hin und wieder sah ich wie sich mein Jaschenka ans Fenster setzte, eine Praline auswickelte und ganz vorsichtig aus dem Papier einen federleichten Kranich faltete...
Einen kleinen japanischen Kranich, ein Sinnbild der Zerbrechlichkeit eines Glücks.
Eine leichte Berührung und schon ist er zerrissen.
1996 rief bei ihnen ihre Bekannte aus der Siedlung an, die gerade in Chabarowsk zu Besuch war. Bei den Gastgebern lernte sie zufällig einen Japaner kennen und verriet ihm ganz stolz: in unserer Siedlung, weit weg von da, haben wir unseren eigenen Japaner. Er heisst Jakov Ivanovitsch!
— Ein Japaner kann nicht so heissen, — lachte der Samurai. Aber die Chabarowskbesucherin griff bereits in die Telefonscheibe.
"Tante Klavdia, ihr Mann soll irgendwas über sich und seine Familie schreiben, in Hieroglyphen, — drängte sie. — Wir werden seine Verwandschaft suchen!"
— Jascha wollte nicht schreiben, aber ich zwang ihn dazu, — stöhnt Oma Klavdia. — Mir fielen seine Papierkraniche ein und wie er sie am Fenster schlichtete...
Es dauerte einige Jahre bis der offizielle Bescheid aus Japan kam. Aber bereits eine Woche danach klingelte bei ihnen das Telefon: die einzige Tochter Yasaburo Hachijas, eine betagte japanische Frau namens Kumiko, wurde gefunden. Gefunden wurden auch seine Geschwister und andere Verwandte.
Und seine Frau, das Mädchen von dem verblassten Foto, heute aber ganz alt und krank, lag in diesem Moment im Sterben in einem Krankenhaus. Und alles was sich Hisako noch im Leben wünschte, war das persönliche Abschiednehmen von ihrem wiedergefundenen Mann.
Gruss aus der Vergangenheit
Klavdia Leonidovna trinkt Tee aus der bunten eisernen Thermosflasche, die ihr Jakov Ivanovitsch aus seinem märchenhaften fernen Japan geschickt hat. Sie füllt das gekaufte inländische Shampoo in schöne leere Dosen mit hieroglyphenbedruckter Vorderseite. Auch diese, damals noch mit Inhalt, kamen per Post von ihrem Exgatten.
Anfang nächstes Jahres sind es bereits neun Jahre seit der Abreise von Herrn Hachija nach Japan. "Ich brachte ihn selbst zum Zug", — betont Oma Klava.
Seine Tochter ist gekommen, um ihren Vater zur Rückkehr nach Japan zu überreden. Kumiko brachte mehrere Koffer mit Töpfen, Schüsseln und Reis, einen Fernseher und einen ganzen Haufen unnötige Kleinigkeiten mit: man hatte sie mit den Erzählungen, dass Menschen im russischen Fernen Osten hungern müssen, erschreckt.
— Mutter wartete ihr ganzes Leben lang auf sie, — sagte Kumiko zum Vater. — Sie erlaubte sich nicht vor Ihrer Rückkehr aus der Verbannung zu sterben. Sie eröffnete mehrere Konten auf Ihren Namen und regelte den Nachlass zu Ihren Gunsten. Sie war sicher, dass sie sie früher oder später noch einmal sehen würde!
Die ganze Nacht hindurch faltete der alte Jakov mit seiner 50-jährigen Tochter feinflügelige Kraniche aus dem Pralinenpapier. Leise besprachen sie etwas. Man verdolmetschte Klavdia Leonidovna sinngemäss: Jakov Ivanovitsch will nicht zurück und Kumiko versucht ihn zu überreden.
Ohne dass sie es selbst von sich erwartet hätte, fiel Klava vor ihrem Mann auf die Knie: "Fahr hin, um Gottes Willen, Jaschenka, fahr hin! Du kannst doch auf deine alten Tage noch ein menschenwürdiges Leben haben".
Aber Yasaburo flehte sie auf Russisch an: "Vertreib mich nicht aus dem Haus, Klavdia, ich möchte nicht hin!"
Sie wollte ihm aber nicht eimal zuhören. Sie liess ihm einen Reisepass ausstellen, wofür sie extra zum Konsulat nach Chabarowsk fahren musste. Sie reichte die Scheidung ein, ohne die Jakov Ivanovitsch Schwierigkeiten hätte, die Besitzrechte auf gemensames Eigentum mit seiner wiedergefundenen japanischen Familie zu erlangen.
Und der schreckliche Tag ist gekommen, der 27. März 1998, als Jakov Ivanovitsch seiner Klava aus dem Waggon des Chabarowsker Zugs zum Abschied winkte.
— Ich nahm mich zusammen und vertröstete mich mit dem Gedanken, dass ich alles richtig tue, — erklärt Klavdia Leonidovna. — Ich möchte nicht, dass mich Jaschenka in seinem Herzen eines Tages beschuldigt, er hätte meinetwegen die Chance nicht wahrgenommen nach Hause zu kommen und seine Leute zu sehen. Ich bin selbst ein Waisenkind, ich würde für so ein Wiedersehen vieles geben... Ich begleitete meinen Mann wie in den Krieg. Ich lachte und scherzte, ich sang ihm das Lied über die zwei Ufer, nur damit er nicht bemerkte, wie schwer es für mich war. Er ist der schwächere von uns, der Abschied täte ihm weh. Später wird es schon leichter! Und ich, ich bin stark, ich halte alles aus. Erst am Abend, als alle gingen, liess ich mich rücklings aufs Bett fallen und erst jetzt begann ich zu heulen...
"Arigatoo!" — sagte sie ihm zum Abschied.
Es heisst auf Japanisch "danke”. Das war das einzige fremdsprachige Wort, das Klavdia in ihrem langen gemeinsamen Leben von Jakov gelernt hatte. "Der letzte Japaner verliess Amurs Ufer" — lautete der Titel eines Artikels in der Lokalzeitung. "Irgenwie schaffe ich es schon allein, Hauptsache, meinem Jaschenka wird es gutgehen", — wimmert Klavdia Leonidovna.
Nun hat Oma Klava keine Verwandtschaft mehr in der Siedlung Progress. Und überhaupt auf der ganzen Welt. Sie ist allein. Ihr einziger Sohn, der 64-jährige Valeri, ist in disem Sommer umgekommen. Jetzt ist Oma Klava sogar bereit, ihr Haus an fremde Leute zu überschreiben — gegen Pflege und Versorgung.
Nur Jakov Ivanovitsch — Yasaburo-San — soll davon nichts erfahren. Er wird sicher glauben, dass bei ihr alles bestens läuft. Er lädt sie ein zum Besuch in Japan. Und sie plant entschlossen, zum Neujahr hinzufahren — sie müssen sich, wie sie in aller Ruhe überlegt, ordentlich voneinander verabschieden...
Immerhin ist sie schon 84. Und er sogar 88. Allerdings, in Japan, so sagt man, leben alte Menschen sehr lange und das in Wohlstand und Zufriedenheit. Aber sie ist doch in Russland.
Und die erste Frau Yasaburos lebt immer noch. Als Hisako ihren Mann erblickte, ging es mit ihr bergauf, obwohl sie noch immer schwer krank ist. Daher kann Jakov Ivanovitsch sie auf keinen Fall allein lassen und die alte Klava in Russland besuchen.
Aber jeden Samstag lässt sich Herr Hachija telefonisch mit der Siedlung Progress verbinden, um die bekannte Stimme zu hören. "Wie ist es dort bei euch in Japan, vielleicht windig? Binde deinen Schal fester, sonst verkühlst du dich noch. Grüsse von mir deine Hisako-San, gesund soll sie werden. Bei mir ist alles bestens, sorge dich nicht, Jaschenka!"
* * *
Über das seltsame Weiblein Klavdia Novikova erzählt man in Japan Legenden.
Aber bei allen Anstrengungen ihre Seele gründlich zu erforschen können diese klugen Japaner kaum verstehen: worin besteht doch unser grösstes Geheimnis?
Und warum können wir ihnen die Kurilen, die wir im Prinzip gar nicht brauchen, nicht zurückgeben, wo sich doch ein einfaches russisches Weiblein so leicht vom geliebten Mann verabschieden konnte?
Naiv wie sie sind, glauben sie im Ernst, dass es für dieses Rätsel eine logische Losung gibt.
Mit ihren runzeligen Händen streichelt Klavdia Leonidovna den kleinen pralinenfarbigen Körper des japanischen Papierkranichs und gleitet mit den Fingern über seine zarten Flügel. Sie spricht mit ihm wie mit einem kleinen Kind in einer nur ihnen allein bekannten Sprache.
...Und sie lebt von einem Samstag bis zum nächsten.
Von einem Anruf bis zum nächsten.
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Samstag, 6. August 2005
holzkohle, ihre herstellung und geschichte
kelef, 17:51h
wen das interessiert, der kann am nächsten wochenende dorthin fahren:
rohr im gebirge
da finden nämlich die EUROPÄISCHEN KÖHLEREITAGE statt,
Infos auch auf http://www.lebensministerium.at - suchwort "köhlerei".
nur für den fall, dass es jemand interessiert hier.
eine fotoausstellung wird es auch geben, mit alten bildern von anno dazumal:
nicht ganz 100 km von wien entfernt, südautobahnabfahrt wöllersdorf, dann richtung gutenstein-rohrer sattel-ist man schon da. wer wagemutig ist, kann auch von gutenstein aus über die haselrast anreisen, traumhaft schöne strecke, aber man sollte bergfahren können. und aufpassen, viele motorradfahrer immer unterwegs da, zum training. manche besonders mutige ebensolche landen auch in den krankenhäusern der umgebung, oder schlimmer.
ein kleines stückerl weiter in der "kalten kuchl" gibt es ein kleines völkerkundliches amateurmuseum, mit vielen alten gerätschaften etc., und sogar bilders wo meine oma und mein opa drauf sind. so. und ein schönes freibad haben die dort auch gebaut.
auf der strecke richtung kalte kuchl sind einige kohlenmeiler, in denen heute noch wie früher holzkohle gebrannt wird, die kann man dort auch gleich kaufen.
sollte wer nach rohr fahren: nicht vergessen, im hotel zum kaier franz josef beim hansi-buam ein rohrer schnitzel
http://gastgeberin.blogger.de/stories/285201
bestellen (und essen), dann freut er sich.
und wenn ihnen eine schwarze katze über den weg läuft, dann brauchen sie nicht die finger zu kreuzen: es handelt sich lediglich um eine weitere ausgabe des panthera pardus montana minima rohrensis. die kommen nämlich von dort.
rohr im gebirge
da finden nämlich die EUROPÄISCHEN KÖHLEREITAGE statt,
Infos auch auf http://www.lebensministerium.at - suchwort "köhlerei".
nur für den fall, dass es jemand interessiert hier.
eine fotoausstellung wird es auch geben, mit alten bildern von anno dazumal:
nicht ganz 100 km von wien entfernt, südautobahnabfahrt wöllersdorf, dann richtung gutenstein-rohrer sattel-ist man schon da. wer wagemutig ist, kann auch von gutenstein aus über die haselrast anreisen, traumhaft schöne strecke, aber man sollte bergfahren können. und aufpassen, viele motorradfahrer immer unterwegs da, zum training. manche besonders mutige ebensolche landen auch in den krankenhäusern der umgebung, oder schlimmer.
ein kleines stückerl weiter in der "kalten kuchl" gibt es ein kleines völkerkundliches amateurmuseum, mit vielen alten gerätschaften etc., und sogar bilders wo meine oma und mein opa drauf sind. so. und ein schönes freibad haben die dort auch gebaut.
auf der strecke richtung kalte kuchl sind einige kohlenmeiler, in denen heute noch wie früher holzkohle gebrannt wird, die kann man dort auch gleich kaufen.
sollte wer nach rohr fahren: nicht vergessen, im hotel zum kaier franz josef beim hansi-buam ein rohrer schnitzel
http://gastgeberin.blogger.de/stories/285201
bestellen (und essen), dann freut er sich.
und wenn ihnen eine schwarze katze über den weg läuft, dann brauchen sie nicht die finger zu kreuzen: es handelt sich lediglich um eine weitere ausgabe des panthera pardus montana minima rohrensis. die kommen nämlich von dort.
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Montag, 4. Juli 2005
der schuster-flurl
kelef, 21:09h
war eines der originale, die ich in meiner kindheit kennenlernen durfte, in
rohr im gebirge.
im heurigen urlaub besuchten die hunt, der katz und ich das in diesem orte neu eröffnete kaffeehaus - sehr nett geworden übrigens, und sehr gemütlich. eine der besonderheiten des lokals ist die freundin des besitzers, die doch tatsächlich mitten in der pampas hinter den sieben bergen bei den sieben zwergen shiatsu-massagen macht. und nicht bloss so, sie hat das wirklich gelernt, und sich ausserdem auch noch meiner alten knochen erbarmt um halb zehn am abend, als ich mich gar nicht mehr bewegen konnte.
die andere besonderheit ist, dass ebendiese liebe andrea mir nicht nur die gelenke zurechtrücken konnte, sondern das lokal auch mit sehr schön aufgearbeiteten bildern aus alten zeiten dekorierte. eines davon zeigt den schuster-flurl, und das bild hat sie mir dann, wie versprochen, geschickt. an dieser stelle also: vielen dank noch einmal!
der schuster-flurl hiess eigentlich florian p. und war, wie sein name schon sagt, von beruf eigentlich schuster.
im 2. weltkrieg als nicht mehr ganz junger mann war er in frankreich stationiert, und verliebte sich dort unsterblich in eine frau, von der er auch jahrzehnte später immer noch sprach. keine war so schön, so klug, so überhaupt besser als alle anderen wie sie. und sie hatte einen - wenn man den unterstreichenden bewegungen seiner hände glauben durfte - riesigen vorbau und einen ebensolchen hintern. und kochen konnte die! von beruf war sie, nun ja, eigentlich n*tte. aber eine nette. und wo die liebe hinfällt ...
als der flurl zurückkam aus dem krieg, war das mit dem schuhhandwerk nicht mehr so ausschliesslich zum leben geeignet in dem kleinen ort, und so verdingte er sich sommers als holzfäller und kriegte irgendwie den spitznamen "mecki". im winter war er schuhmacher. mein opa, der im ersten weltkrieg sieben jahre in russischer gefangenschaft in sibirien verbringen durfte, bekam von ihm die besten und schönsten filzstiefel, die ich je gesehen habe. handgemacht, aus weichem und doch formstabilen filz, wasserfest, mit genähten ledersohlen und -kappen, und gut beschlagen, damit man auch die widrigsten wege damit stapfen konnte.
mein vater ging oft zu ihm tratschen, der flurl wusste eine menge, hatte eine menge gelesen und gesehen, konnte wegen seiner grossen liebe sehr gut französisch, hatte auch englisch gelernt, kurzum, er war alles andere als der "pleampl", als der er sich oft gab. auch politisieren tat er gern.
sein leben war einfach, aber nicht einfach. er wohnte in einem kleinen steinhaus, ohne strom: "wann's finster ist, geht ma schlofn oder zum wirtn".
im sommer ging er montag früh "in schlog" (auf den holzschlag), und am freitag oder samstag kam er wieder herunter. mitgenommen wurden eine seite speck, mehl und salz, eine kleine eisenpfanne (alles zum sterzmachen), eine decke, das werkzeug. wasser und beeren und pflanzen, die man essen konnte, gab es unterwegs. geschlafen hat er unter ein paar tannen- oder fichtenästen, aus denen er sich so eine art hütte baute, immer dort, wo er gerade arbeitete, nie was festes.
aber wenn er zurückkam in den ort, dann tanzten die puppen. damals wurde noch wöchentlich ausbezahlt, und der mecki hat meist alles gleich unter die leut gebracht. eine freundin meiner grossmutter hatte ein kleines wirtshaus dort, und ich schwöre, ich hab nicht einmal gesehen wie der mecki eine eierspeis aus 24 eiern aufass, mit speck darunter, und einem ganzen brot dazu. und der notwendigen menge alkohol, versteht sich, wegen der erhöhung der überlebenschancen nach dem cholesterinschock.
ich kann mich gut daran erinnern, wie der flurl meine kleine hand in seine etwas weniger kleine nahm, ganz vorsichtig, und mit mir und meinem vater durch den wald ging. er sah so viel mehr davon als die meisten anderen, und er konnte so wunderbar spuren lesen und sie einem kleinen mädchen auch erklären. er war einer von denen, die mich die ehrfurcht vor dem leben lehrten, und den respekt gegenüber auch dem kleinsten lebewesen. wenige konnten eine ameisenburg so andächtig betrachten und auch zeigen, wie organisiert das leben dort abläuft. und wie diese völkchen für ihre gemeinschaft da sind, und wie sehr sie sich umeinander bemühen.
der flurl konnte aber auch geschichten erzählen, von seiner dulcinea, aus frankreich, von büchern die er gelesen hatte. er konnte, wenn es denn notwendig war, auch watschen austeilen von denen sich die be- und getroffenen längere zeit nicht erholten.
vor einigen jahren wurde beim kelleraufräumen auf einem hof, der schon ein paar jahrhunderte steht, ein kinderschuh gefunden. gemessene 12 cm lang, vielfach geflickt, leicht zerfallen, weiss keiner mehr ob mädchen- oder bubenschuh. solche dinge hat der mecki auch immer mit ehrfurcht behandelt: handwerksstücke, an denen man so genau sehen kann wie viel arbeit drinnen steckte, wie viele stunden, wie viele verschiedene arbeitsvorgänge, alles immer so, dass man es auch reparieren konnte, immer wieder.
manchmal sollte man über diese dinge nachdenken, und, vielleicht, sogar ein bissel was daraus lernen.
rohr im gebirge.
im heurigen urlaub besuchten die hunt, der katz und ich das in diesem orte neu eröffnete kaffeehaus - sehr nett geworden übrigens, und sehr gemütlich. eine der besonderheiten des lokals ist die freundin des besitzers, die doch tatsächlich mitten in der pampas hinter den sieben bergen bei den sieben zwergen shiatsu-massagen macht. und nicht bloss so, sie hat das wirklich gelernt, und sich ausserdem auch noch meiner alten knochen erbarmt um halb zehn am abend, als ich mich gar nicht mehr bewegen konnte.
die andere besonderheit ist, dass ebendiese liebe andrea mir nicht nur die gelenke zurechtrücken konnte, sondern das lokal auch mit sehr schön aufgearbeiteten bildern aus alten zeiten dekorierte. eines davon zeigt den schuster-flurl, und das bild hat sie mir dann, wie versprochen, geschickt. an dieser stelle also: vielen dank noch einmal!
der schuster-flurl hiess eigentlich florian p. und war, wie sein name schon sagt, von beruf eigentlich schuster.
im 2. weltkrieg als nicht mehr ganz junger mann war er in frankreich stationiert, und verliebte sich dort unsterblich in eine frau, von der er auch jahrzehnte später immer noch sprach. keine war so schön, so klug, so überhaupt besser als alle anderen wie sie. und sie hatte einen - wenn man den unterstreichenden bewegungen seiner hände glauben durfte - riesigen vorbau und einen ebensolchen hintern. und kochen konnte die! von beruf war sie, nun ja, eigentlich n*tte. aber eine nette. und wo die liebe hinfällt ...
als der flurl zurückkam aus dem krieg, war das mit dem schuhhandwerk nicht mehr so ausschliesslich zum leben geeignet in dem kleinen ort, und so verdingte er sich sommers als holzfäller und kriegte irgendwie den spitznamen "mecki". im winter war er schuhmacher. mein opa, der im ersten weltkrieg sieben jahre in russischer gefangenschaft in sibirien verbringen durfte, bekam von ihm die besten und schönsten filzstiefel, die ich je gesehen habe. handgemacht, aus weichem und doch formstabilen filz, wasserfest, mit genähten ledersohlen und -kappen, und gut beschlagen, damit man auch die widrigsten wege damit stapfen konnte.
mein vater ging oft zu ihm tratschen, der flurl wusste eine menge, hatte eine menge gelesen und gesehen, konnte wegen seiner grossen liebe sehr gut französisch, hatte auch englisch gelernt, kurzum, er war alles andere als der "pleampl", als der er sich oft gab. auch politisieren tat er gern.
sein leben war einfach, aber nicht einfach. er wohnte in einem kleinen steinhaus, ohne strom: "wann's finster ist, geht ma schlofn oder zum wirtn".
im sommer ging er montag früh "in schlog" (auf den holzschlag), und am freitag oder samstag kam er wieder herunter. mitgenommen wurden eine seite speck, mehl und salz, eine kleine eisenpfanne (alles zum sterzmachen), eine decke, das werkzeug. wasser und beeren und pflanzen, die man essen konnte, gab es unterwegs. geschlafen hat er unter ein paar tannen- oder fichtenästen, aus denen er sich so eine art hütte baute, immer dort, wo er gerade arbeitete, nie was festes.
aber wenn er zurückkam in den ort, dann tanzten die puppen. damals wurde noch wöchentlich ausbezahlt, und der mecki hat meist alles gleich unter die leut gebracht. eine freundin meiner grossmutter hatte ein kleines wirtshaus dort, und ich schwöre, ich hab nicht einmal gesehen wie der mecki eine eierspeis aus 24 eiern aufass, mit speck darunter, und einem ganzen brot dazu. und der notwendigen menge alkohol, versteht sich, wegen der erhöhung der überlebenschancen nach dem cholesterinschock.
ich kann mich gut daran erinnern, wie der flurl meine kleine hand in seine etwas weniger kleine nahm, ganz vorsichtig, und mit mir und meinem vater durch den wald ging. er sah so viel mehr davon als die meisten anderen, und er konnte so wunderbar spuren lesen und sie einem kleinen mädchen auch erklären. er war einer von denen, die mich die ehrfurcht vor dem leben lehrten, und den respekt gegenüber auch dem kleinsten lebewesen. wenige konnten eine ameisenburg so andächtig betrachten und auch zeigen, wie organisiert das leben dort abläuft. und wie diese völkchen für ihre gemeinschaft da sind, und wie sehr sie sich umeinander bemühen.
der flurl konnte aber auch geschichten erzählen, von seiner dulcinea, aus frankreich, von büchern die er gelesen hatte. er konnte, wenn es denn notwendig war, auch watschen austeilen von denen sich die be- und getroffenen längere zeit nicht erholten.
vor einigen jahren wurde beim kelleraufräumen auf einem hof, der schon ein paar jahrhunderte steht, ein kinderschuh gefunden. gemessene 12 cm lang, vielfach geflickt, leicht zerfallen, weiss keiner mehr ob mädchen- oder bubenschuh. solche dinge hat der mecki auch immer mit ehrfurcht behandelt: handwerksstücke, an denen man so genau sehen kann wie viel arbeit drinnen steckte, wie viele stunden, wie viele verschiedene arbeitsvorgänge, alles immer so, dass man es auch reparieren konnte, immer wieder.
manchmal sollte man über diese dinge nachdenken, und, vielleicht, sogar ein bissel was daraus lernen.
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Dienstag, 7. Juni 2005
die geschichte des rohrer schnitzel
kelef, 00:19h
oft hinterfragt, nie wirklich geklärt.
erfinder: der hansi-bua,
inhaber des bestens bekannten
http://www.hotelkaiserfranzjosef.at/
in rohr im gebirge, liebevoll auch "rohr im gebüsch" genannt, weil ja doch ein ganz klein wenig abgelegen, so hinter den sieben bergen bei den sieben zwergen.
dort gehen die uhren einfach anders. sind keine gäste da, wird zugesperrt. melden sich ein paar leut telefonisch an, wird eben wieder aufgesperrt.
gegessen wird, was da ist.
gekocht wird exzellent, kann man sich nicht beschweren. manchmal muss der hansi aber mit den leuten mitsaufen, und dann kann es schon nebelig werden, sozusagen, und die klare sicht der dinge kann sich, ebenfalls sozusagen, ein ganz klein wenig verändern. dann sieht man die gäste nur mehr so:
kann in rohr aber nicht viel passieren, sind wenig autos auf der strasse, und wenn ein besoffener nicht mehr weiter kann, legt er sich auf einer strassenseite nieder und schläft seinen rausch aus. wenn einer vorbeikommt, kriegt er ein heupolsterl und vor ihm und hinter ihm wird ein warndreieck aufgestellt, dass nix sein kann. das ist wirklich wahr, hat mir die feuerwehr erzählt, die freiwillige.
an einem dieser merkwürdigen nebeltage muss es gewesen sein, dass ein unvorsichtiger gast trotz des nebels nichts fertiges bestellte, sondern just ein schnitzel wollte, ein gebackenes.
schnitzel - vom schwein - vom schopfbraten - abschneiden - klopfen - panieren - backen - für einen routinerten gastwirt auch in abwesenheit von küchenpersonal kein problem. erdäpfel braten, mit dem schnitzel auf den teller, geht auch. salat dazu. besteck und serviette, getränk.
was dem hansi-bua im gebirgsnebel nicht so klar ersichtlich war: die tatsache, dass der schopfbraten schon eingebeizt war für den nächsten tag, um dann als schweinsbraten erst in den holzherd in der küche und dann zu den gästen auf den tisch zu kommen. und ein ordentlicher schweinsbraten wird mit sehr viel knoblauch, und kümmel, und salz und pfeffer eingerieben.
der erstaunte gast bekam also sozusagen eine schweine-kombi auf den tisch. das sah dann so aus:
der hansi-bua (nicht faul und weder auf den kopf noch auf den mund gefallen) erklärte flugs das gehöre sich so, denn es handle sich um ein original rohrer schnitzel. und da so etwas hervorragend schmeckt, gibt es seither das rohrer schnitzel auch schon auf anderen speisekarten des ortes zu finden, wegen des grossen erfolges.
wenn man den hansi fragt sagt er allerdings, die rezeptur sei ihm "halt einmal so eingefallen, weisst eh ...." aber wie ich ihn kenne, stimmt meine geschichte schon.
erfinder: der hansi-bua,
inhaber des bestens bekannten
http://www.hotelkaiserfranzjosef.at/
in rohr im gebirge, liebevoll auch "rohr im gebüsch" genannt, weil ja doch ein ganz klein wenig abgelegen, so hinter den sieben bergen bei den sieben zwergen.
dort gehen die uhren einfach anders. sind keine gäste da, wird zugesperrt. melden sich ein paar leut telefonisch an, wird eben wieder aufgesperrt.
gegessen wird, was da ist.
gekocht wird exzellent, kann man sich nicht beschweren. manchmal muss der hansi aber mit den leuten mitsaufen, und dann kann es schon nebelig werden, sozusagen, und die klare sicht der dinge kann sich, ebenfalls sozusagen, ein ganz klein wenig verändern. dann sieht man die gäste nur mehr so:
kann in rohr aber nicht viel passieren, sind wenig autos auf der strasse, und wenn ein besoffener nicht mehr weiter kann, legt er sich auf einer strassenseite nieder und schläft seinen rausch aus. wenn einer vorbeikommt, kriegt er ein heupolsterl und vor ihm und hinter ihm wird ein warndreieck aufgestellt, dass nix sein kann. das ist wirklich wahr, hat mir die feuerwehr erzählt, die freiwillige.
an einem dieser merkwürdigen nebeltage muss es gewesen sein, dass ein unvorsichtiger gast trotz des nebels nichts fertiges bestellte, sondern just ein schnitzel wollte, ein gebackenes.
schnitzel - vom schwein - vom schopfbraten - abschneiden - klopfen - panieren - backen - für einen routinerten gastwirt auch in abwesenheit von küchenpersonal kein problem. erdäpfel braten, mit dem schnitzel auf den teller, geht auch. salat dazu. besteck und serviette, getränk.
was dem hansi-bua im gebirgsnebel nicht so klar ersichtlich war: die tatsache, dass der schopfbraten schon eingebeizt war für den nächsten tag, um dann als schweinsbraten erst in den holzherd in der küche und dann zu den gästen auf den tisch zu kommen. und ein ordentlicher schweinsbraten wird mit sehr viel knoblauch, und kümmel, und salz und pfeffer eingerieben.
der erstaunte gast bekam also sozusagen eine schweine-kombi auf den tisch. das sah dann so aus:
der hansi-bua (nicht faul und weder auf den kopf noch auf den mund gefallen) erklärte flugs das gehöre sich so, denn es handle sich um ein original rohrer schnitzel. und da so etwas hervorragend schmeckt, gibt es seither das rohrer schnitzel auch schon auf anderen speisekarten des ortes zu finden, wegen des grossen erfolges.
wenn man den hansi fragt sagt er allerdings, die rezeptur sei ihm "halt einmal so eingefallen, weisst eh ...." aber wie ich ihn kenne, stimmt meine geschichte schon.
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Freitag, 4. Februar 2005
o tempora, o mores.
kelef, 01:25h
im tv gerade opernball geschaut.
wie viele erinnerungen werden da doch wach gerufen.
und wie viele leut ich kennengelernt hab in meinem leben. es ist zum grausen.
ein paar assoziationen kann ich nie entrinnen, z.b.
immer wenn ich h-w schimanko sehe, denke ich an seine lange zeit sehr dick verbundene hand, weil der grosse hundekenner meinte, seine rottweilerhündin beisst ihn nicht, wenn er die drei tage alten welpen angreifen will.
immer wenn ich arabella kiesbauer sehe, denke ich an eine liebe bekannte, die einen sehr netten rauhhaardackel namens arabella sittete, und dann irgendwann durch den garten schrie "kiesbauer, scheiss nicht in die ecke".
immer wenn ich die baronesse von tripstrill sehe, fällt mir wieder ein, wie sie vor jahrzehnten im alten moulin rouge (vor schimanko) in wien als jeanette auftrat, damals schon weit über zwanzig, mit unnachahmlicher grandezza mitten in der conference (die sie übrigens ganz ausgezeichnet machte) das oberteil ihres abendkleides fallen liess, den busen herausstreckte mit den worten "kaiserbirnen, kein fallobst".
edit: braucht mich nicht noch jemand kontaktieren, ich weiss, dass es baronesse lips von lipstrill heisst, bei mir heisst es trotzdem tripstrill.
immer beim anblick der feststiege in der oper denke ich an einen opernball, bei dem der legendäre roman s., stockbesoffen auf seinem platz zwischen den journalisten, beim einzug der ehrengäste, plötzlich brüllte "geht's doch alle sch..., ihr a...löcher!".
das leben ist doch etwas vergnügliches, kann man nix dagegen sagen.
wie viele erinnerungen werden da doch wach gerufen.
und wie viele leut ich kennengelernt hab in meinem leben. es ist zum grausen.
ein paar assoziationen kann ich nie entrinnen, z.b.
immer wenn ich h-w schimanko sehe, denke ich an seine lange zeit sehr dick verbundene hand, weil der grosse hundekenner meinte, seine rottweilerhündin beisst ihn nicht, wenn er die drei tage alten welpen angreifen will.
immer wenn ich arabella kiesbauer sehe, denke ich an eine liebe bekannte, die einen sehr netten rauhhaardackel namens arabella sittete, und dann irgendwann durch den garten schrie "kiesbauer, scheiss nicht in die ecke".
immer wenn ich die baronesse von tripstrill sehe, fällt mir wieder ein, wie sie vor jahrzehnten im alten moulin rouge (vor schimanko) in wien als jeanette auftrat, damals schon weit über zwanzig, mit unnachahmlicher grandezza mitten in der conference (die sie übrigens ganz ausgezeichnet machte) das oberteil ihres abendkleides fallen liess, den busen herausstreckte mit den worten "kaiserbirnen, kein fallobst".
edit: braucht mich nicht noch jemand kontaktieren, ich weiss, dass es baronesse lips von lipstrill heisst, bei mir heisst es trotzdem tripstrill.
immer beim anblick der feststiege in der oper denke ich an einen opernball, bei dem der legendäre roman s., stockbesoffen auf seinem platz zwischen den journalisten, beim einzug der ehrengäste, plötzlich brüllte "geht's doch alle sch..., ihr a...löcher!".
das leben ist doch etwas vergnügliches, kann man nix dagegen sagen.
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Sonntag, 23. Jänner 2005
vollmond I
kelef, 20:38h
hat so seine auswirkungen auf die menschen, ohne jede frage.
zum beispiel der feri (ich weiss nicht, ob ferencz oder ferdinand, is ja aber auch egal). ein pensionierter maurer, so um die 65 jahre alt.
drei wochen im monat ist er nüchtern, aber bei vollmond ist er besoffen. so sehr besoffen, dass er prinzipiell bei rot über die kreuzung geht. dass er bei hellstem tageslicht auf der strasse steht und autos anpinkelt. besonders gerne beschimpft er auch lautstark leute, ob er sie nun kennt oder nicht.
irgendwas kann er immer besser, ob das nun kindererziehung, politik oder einparken ist - er steht da und schreit in den übelsten tönen auf die leute ein. gerne geht er auch baustellen inspizieren, und plärrt seinen unmut über die fahrlässigen bauweisen der neuen generation so heraus, dass man es zwei gassen weiter hört.
am zweiten oder dritten tag seiner lunatischen phase hat er dann fallweise kontinenzprobleme, unüberriechbar schon bevor er um die ecke kommt, und statikstörungen die dazu führen, dass er einen vier meter breiten gehsteig alleine braucht.
am vierten und fünften tag geht er manchmal auf allen vieren (der not gehorchend), und lallt nur mehr. macht wieder ein paar schritte auf den hinterbeinen, um dann breitbeinig stehenzubleiben und schwankend bis zu einer halben stunde auf einer stelle zu verharren und weiterzuschimpfen.
den sechsten oder siebten tag verbringt er dann, gar merkwürdig arrangiert, auf parkbänken, fenstersimsen oder ähnlichem, schon schallgebremst, immer noch in den gleichen klamotten, mit fahler gesichtshaus, zitternd-unkontrollierten bewegungen, stinkend.
anschliessend sieht man ihn zwei tage nicht.
dann taucht er wieder auf, in anzug und krawatte, gewaschen, geschneuzt und gekampelt, das struppige dichte salz-und-pfefferfarbene haar ordentlich gewaschen und gekämmt, nach guten rasierwasser duftend, als wäre nichts gewesen. freundlich, höflich, drei wochen lang.
bis zum nächsten vollmond.
zum beispiel der feri (ich weiss nicht, ob ferencz oder ferdinand, is ja aber auch egal). ein pensionierter maurer, so um die 65 jahre alt.
drei wochen im monat ist er nüchtern, aber bei vollmond ist er besoffen. so sehr besoffen, dass er prinzipiell bei rot über die kreuzung geht. dass er bei hellstem tageslicht auf der strasse steht und autos anpinkelt. besonders gerne beschimpft er auch lautstark leute, ob er sie nun kennt oder nicht.
irgendwas kann er immer besser, ob das nun kindererziehung, politik oder einparken ist - er steht da und schreit in den übelsten tönen auf die leute ein. gerne geht er auch baustellen inspizieren, und plärrt seinen unmut über die fahrlässigen bauweisen der neuen generation so heraus, dass man es zwei gassen weiter hört.
am zweiten oder dritten tag seiner lunatischen phase hat er dann fallweise kontinenzprobleme, unüberriechbar schon bevor er um die ecke kommt, und statikstörungen die dazu führen, dass er einen vier meter breiten gehsteig alleine braucht.
am vierten und fünften tag geht er manchmal auf allen vieren (der not gehorchend), und lallt nur mehr. macht wieder ein paar schritte auf den hinterbeinen, um dann breitbeinig stehenzubleiben und schwankend bis zu einer halben stunde auf einer stelle zu verharren und weiterzuschimpfen.
den sechsten oder siebten tag verbringt er dann, gar merkwürdig arrangiert, auf parkbänken, fenstersimsen oder ähnlichem, schon schallgebremst, immer noch in den gleichen klamotten, mit fahler gesichtshaus, zitternd-unkontrollierten bewegungen, stinkend.
anschliessend sieht man ihn zwei tage nicht.
dann taucht er wieder auf, in anzug und krawatte, gewaschen, geschneuzt und gekampelt, das struppige dichte salz-und-pfefferfarbene haar ordentlich gewaschen und gekämmt, nach guten rasierwasser duftend, als wäre nichts gewesen. freundlich, höflich, drei wochen lang.
bis zum nächsten vollmond.
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Sonntag, 15. August 2004
teufelszeug
kelef, 01:58h
vor drei jahren, auf dem land, so ziemlich hinter den sieben bergen bei den sieben zwergen, sass ich mit dem altbauern im hof. er, seit ein paar jahren witwer, weit über siebzig, gar nicht mehr gesund, wie so oft mit einem glas wein in der hand über das tal schauend, nachdenkend.
plötzlich läutet irgendwo unten auf der strasse ein handy.
er nimmt einen schluck, dann schaut er mich an und sagt "des is a teufelszeug, a so a handy." er nimmt noch einen schluck. "des is net gsund für die leut." noch ein schluck.
"früher, wenn was zum reden war, hat ma nachmittag des viech gmacht, dann is ma drei, vier stunden z' fuass gangen, bis ma bei dejenigen war. dann is trunken worn, dann is gvespert worn, dann is weitertrunken worn, und g'redt. wann ma sehr bsoffen war, hot ma durt gschlofn, sunst is ma holt in da nocht wieda hamgongan. heit hams a handy, ruafn an, gibt's was frogns so gschwind, dass ma gor net glei waas, obs wos gibt. und dann is scho wieda vorbei. des is net gsund für die leut, a so a zeug. a teufelszeug, des."
in der zwischenzeit ist er gestorben. im krankenhaus wollte man ihm ein bein abnehmen, diabetes, da hat er, denken wir, einfach nicht mehr wollen. hat zuerst aufgehört zu essen, dann zu trinken, dann zu atmen.
manchmal denke ich an ihn, wenn ich so kurze handyphonate mitanhören muss: "I bins" ... "die/der XXX. gibts was?" ... "na guat, i meld mi wieder, wanns e nix gibt."
des kann net gsund sein für die leut, des teufelszeug des. so net.
plötzlich läutet irgendwo unten auf der strasse ein handy.
er nimmt einen schluck, dann schaut er mich an und sagt "des is a teufelszeug, a so a handy." er nimmt noch einen schluck. "des is net gsund für die leut." noch ein schluck.
"früher, wenn was zum reden war, hat ma nachmittag des viech gmacht, dann is ma drei, vier stunden z' fuass gangen, bis ma bei dejenigen war. dann is trunken worn, dann is gvespert worn, dann is weitertrunken worn, und g'redt. wann ma sehr bsoffen war, hot ma durt gschlofn, sunst is ma holt in da nocht wieda hamgongan. heit hams a handy, ruafn an, gibt's was frogns so gschwind, dass ma gor net glei waas, obs wos gibt. und dann is scho wieda vorbei. des is net gsund für die leut, a so a zeug. a teufelszeug, des."
in der zwischenzeit ist er gestorben. im krankenhaus wollte man ihm ein bein abnehmen, diabetes, da hat er, denken wir, einfach nicht mehr wollen. hat zuerst aufgehört zu essen, dann zu trinken, dann zu atmen.
manchmal denke ich an ihn, wenn ich so kurze handyphonate mitanhören muss: "I bins" ... "die/der XXX. gibts was?" ... "na guat, i meld mi wieder, wanns e nix gibt."
des kann net gsund sein für die leut, des teufelszeug des. so net.
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