Freitag, 20. Dezember 2013
ganz und gar keine Weihnachtsgeschichte III/VI
Vor einem Jahr kam dann das große Fiasko: der Staat wollte über die Steuer rund 40% der Rente wieder zurück, und die Firma, bei der S. arbeitete, hatte Pleite gemacht. Dazu meldete sich das ererbte Asthma, und der S. legte sich einfach ins Bett und wartete, was passieren würde. Seine Schwester G. rief dann die Rettung, und die brachte ihn ins Krankenhaus, und dort stellte man neben einer beidseitigen Lungenentzündung eine ziemlich eingeschränkte Lungenleistung fest. G. steht mit einer Lungenfunktion von 25% auf der Liste für eine neue Lunge und läuft mit einem mobilen Sauerstoffapparat herum. Die Lungenfunktion des S. lag bei 15%.

Die G. redete ihm bald gut zu, er solle doch die große Wohnung aufgeben, und sich (ihre) kleine Gemeindewohnung nehmen, das ginge schon. Sie hatte die Wohnung behalten als sie zu ihrem Mann zog, alles hier gleich um die Ecke bei mir. In der Wohnung der G. – die ungefähr 50 m² hat – war allerdings einiges zu tun, aber der S. sei geschickt, der könne das selber machen.

Willst du das wirklich, fragte ich ihn. Du könntest dir doch auch einen Mitbewohner suchen, das wollte er aber nicht, denn wenn jemand dann das, was die T. an einen Platz gestellt hatte, woanders hinstellen wolle, das ginge nicht, das könnte er nicht sehen.

Und die ganzen „Sachen“ - Bilder, Bücher, Schallplatten, Geschirr, Nippes, Keramiken, Teppiche, Sitzgarnituren, Esszimmer, die Küche, sag mal??? Ja, das müsse er dann wohl verkaufen, er wisse ja was das alles gekostet habe. S., sagte ich, du kriegst aber höchstens 10%, die Zeiten sind nicht besser geworden, und das, was du da und dort hineingebastelt hast, die maßgefertigte Küche, das Wasserbett, Bücherregale, das passt doch in eine normale Wohnung gar nicht einmal hinein.

Die Schwester und die Schwägerin redeten ihm aber weiter gut zu, und was Familie ist bleibt dann doch Familie, und der S. kündigte den Mietvertrag, den die T. und ihr damaliger Lebensgefährte im Jahre 1964 unterschrieben hatten, und den er übernommen hatte. Die Ablöse damals waren öS 80.000.— gewesen, natürlich ohne Beleg.

Bei der ersten Besichtigung durch die Hausverwaltung im August war ich dabei, auf Ersuchen des S. hin. Der junge Herr Hausverwalter war so weit so nett, allerdings die dunklen Anstriche aus den Räumen müssten hell werden, und dies und das, aber er werde mit dem Hausbesitzer reden, wenn die Wohnung weitervermietet würde dann könnten ja z.B. der begehbare Schrank, die Küche, etc. bleiben. Da wären auch noch kleinere Mietrückstände, meinte er, da könne man dann gegenrechnen, meinte ich, das schloss der Herr Hausverwaltung nicht aus.

Nun war der S., solange ich ihn kannte, ein Jäger und Sammler. Ein verbogener Nagel wurde nicht weggeworfen, sondern gerade geklopft, jeder Blumentopf gesäubert und für weitere Verwendung aufgehoben, und so weiter. Was Wunder, dass er sich auch fast fünf Jahre nach dem Tod der T. noch von nichts getrennt hatte? Was ihre Geschwister nicht unmittelbar nach ihrem Tod an sich gerissen hatten, war noch da. Sogar die Vorräte an gesunden Tees, ungefähr 100 (in Worten: einhundert) Sorten.

S., sagte ich, du hast drei Monate ausgemacht bis zur Übergabe einer leeren Wohnung, die neue Wohnung ist alles andere als fertig, und du kriegst keine Luft, ich meine: wie stellst du dir das eigentlich vor? Ach, die Schwester G. und der Bruder A. und die Schwägerin, die würden ihm helfen. Den A. hab ich kennengelernt, der ist lieb und hilfsbereit, aber erstens wohnt er im Burgenland, und zweitens geht er arbeiten, und drittens hat er am Wochenende seine drei Kinder bei sich. Die G. kriegt keine Luft, und die Schwägerin, so wurde berichtet, hat es im Rücken und 130 kg Lebendgewicht, oder mehr.

Versuche, alles in Bausch und Bogen loszuwerden scheiterten am S. – er konnte sich nicht für „kein Geld“ von seinen Erinnerungen trennen. Wie auch? Das war sein Leben, das einzige Gute das er jemals gehabt hatte. Wie die T. gestorben ist, hat er gesagt, da war mein Leben vorbei. Ich hab nicht einmal mehr die Blumen gegossen, ich hab nicht eingeheizt, ich hab keine Wäsche gewaschen, ich hab in dem Bett nicht mehr schlafen können, ich hab immer daran gedacht wie ich sie in der Zeit, in der es ihr so schlecht gegangen ist, hinauftragen hab müssen.

Der S. holte also Bananenkartons in Unmengen, und packte alles ein. In dem Haus, in dem die Wohnung war, hatte er auch noch eine Garage und einen Bastelraum gemietet, und da lagerte er nun alles. Bettzeug, Handtücher, Kleidung von der T., Schuhe von der T., Geschirr, Bilder, Bücher, alte Zeitschriften, Kinoprogramme von anno dunnemals (hatte die T. gesammelt), Kerzenständer, Mineralien (hatte der S. gesammelt), es wurden in Summe über 400 Kartons. Und dann waren da auch noch das Moped, und eine Doppeltür mit bunter Bleiverglasung, und und und.

In der Zwischenzeit hatte nämlich der Herr Hausverwaltung, mit dem wir gesprochen hatten, irgendwie an jemand anders übergeben (müssen?), und jetzt musste alles raus. Auch das Hochbett mit dem Wasserbett, der begehbare Schrank mit rund 6m², die gesamte Küche. Und ausgemalt musste werden. Gesagt hat man das dem S. allerdings erst eine Woche vor Wohnungsübergabe.

Die Schwägerin hatte ihm irgendein Unternehmen vermittelt, das kannte sie, weil sie als Hausbesorgerin irgendwie für das Haus zuständig war, sagte der S., und die Schwester und die Schwägerin hätten sich fürchterlich aufgeregt über die Vorschläge, die ich gemacht hätte, das seien ja Werte, WERTE, da müsse man ins Dorotheum gehen damit, und einen Schätzmeister kommen lassen, den müsse man dann eben bezahlen, aber dann käme alles zu einer Auktion, und …

S., sagte ich, so ist das nicht, aber bitte sehr, wenn die Damen glauben dass sie sich auskennen, dann sollen sie machen. Die Schwägerin bestellte also Fotos von allem und jedem, und ging damit ins Dorotheum, und wie nicht anders zu erwarten war kein Schätzmeister bereit zu kommen, nicht einmal gegen Geld. Das seien eben doch alles nur Gauner, das sehe man jetzt, sagten die beiden, so erzählte der S., zwischen dem Schnappen nach Luft. Auf Ebay kann man auch Sachen verkaufen, meinten die Damen, die Küche zum Beispiel, das seien sicherlich auch ein paar tausend Euro, die habe doch damals weit über € 15.000.—gekostet, oder noch mehr. Und die Keramiken, und die Bilder, und die Bücher, und die Ledersitzgarnituren, und die Teppiche. Die Leute wollten den armen S. alle nur betrügen und über den Tisch ziehen, dass die sich nicht genieren. Wie die Aasgeier, meinten sie, und der S. regte sich ziemlich auf darüber dass die beiden so redeten.

Sein Bruder A., der selber lange Jahre nebenbei einen Flohmarktstand betrieben hat, schüttelte traurig den Kopf. S., sagte er, die zwei Weiber sind Idioten, sei froh wenn du nix zahlen musst für das Ausräumen, das Ausmalen ist schon teuer genug. Für ein Buch kannst vielleicht einen Euro bekommen, für die teuren Bildbände vielleicht zehn, aber nur wenn Du dich selber auf den Markt stellst, und wie soll das gehen?

So ging das hin und her, die Schwägerin siegte, und das von ihr rekommandierte Unternehmen riss alles aus den Wänden. Nur das Hochbett und den begehbaren Schrank, die hatte der S. „für die Ewigkeit“ gebaut, die zerlegte er irgendwie selber und verarbeitete alles zu Kleinholz. Wie er das geschafft hat, ist mir ein Rätsel.

S., habe ich ihm immer wieder gepredigt, geh zu dem Lungenfacharzt bei dem du gewesen bist, erzähl ihm wie es dir geht, du schaust aus wie ein Gerippe, kriegst keine Luft, kannst manchmal nicht weiterreden, und erzähl ihm bitte auch genau warum es dir so schlecht geht.

tbc.

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Bescherung ist auch so ein Wort mit zwei Bedeutungen.
Jetzt mache ich es hier wie mit meiner Zeitung: die lese ich meist von hinten nach vorne.
Ach, ach.

(seit zwei Monaten werfe ich weg. Im Keller habe ich angefangen. Unglaublich was man alles anhäufen kann. Keine Ahnung, für was ich es behalten wollte. Naja, irgendwie schon, es verwundert mich zu hören, das ich nicht alleine bin und wie gesagt: ich bin wenigstens auf dem weg.)

Aber so ist das Leben. Ohne Rücksicht oder Liebe oder Lohn oder Strafe. Man wurschtelt sich an der Zeit entlang, trifft falsche oder richtige Entscheidungen, wer kann schon hellsehen, hört auf falsche Ratschläge, und während man plant und denkt haut das Schicksal oder wer auch immer mit dem großen Hammer einmal mitten rein. Als wäre es eine Art Naturkatastrophe.

Es tut mir so leid, gerade als Nahestehende möchte man helfen, etwas tun, gegen die schlechten Ratschläge anraten, was auch immer, aber oft ist man zum schauen und leiden verdammt.

Ob ich den Rest noch lesen mag weiß ich nicht, aber lesen ist tausendmal leichter als erleben.
<3

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