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Samstag, 14. August 2010
bekanntschaft aus ungarn - nachtrag
kelef, 07:46h
das alles war nun vor sehr, sehr langer zeit geschehen. da gab es den eisernen vorhang noch, und das internet noch nicht, kann man sich heute alles gar nicht mehr vorstellen.
manchmal, wenn man nicht vorsichtig genug ist mit sich selbst, da bekommen solche erlebnisse, die vor langem passiert sind, so eine art eigenleben, tief innerlich in einem selber.
natürlich kann man sich genau daran erinnern. denkt man zurück, oder - noch schlimmer - denkt man darüber nach, dann sind einzelne szenen so lebendig und präsent als wäre man gerade eben mittendrin.
gänseleber in madeira habe ich seither oft gegessen, in verschiedenen ländern. aber nie hatte sie diesen besonderen beigeschmack der erwartung, der angst, der hoffnung, den nachgeschmack der hoffnungslosigkeit. aber immer hatte gänseleber in madeira eine besonderheit für mich, die ich nie hätte beschreiben können, nicht gut, nicht schlecht: ganz besonders, eben.
auch in sopron war ich seither schon sehr oft. nie hat diese kleine stadt so ausgesehen wie an diesem einen tag, nie war die luft so spannungsgeladen, nie der himmel so, wie soll ich sagen: himmelfarben.
der bahnhof der kleinen stadt hat sich seither nicht wirklich verändert, das restaurant schon, aber ich könnte es heute noch aufzeichnen, besonders den abgestuften plafond mit den kleinen spots drinnen, von denen immer ein paar mehr abgeschaltet wurden als es später und später wurde, an diesem einen tag.
und wie lange eine minute sein kann, oder viele minuten, wie sie sich summieren und subsummieren und immer länger werden. das wünscht man auch niemanden, solche erfahrungen.
wie dem auch immer sein mag. aber dann versuchen sie doch einmal, mit jemandem über solche erfahrungen zu sprechen. niemand, aber auch gar niemand wird ihnen das gefühl vermitteln dass sie ernst genommen werden. unverständnis, bewunderung, erstaunen, ungläubigkeit, verarsche, ein spektrum an reaktionen, und irgendwann denken sie dann, wtf, zu was erzähl ich das. glaubt ja sowieso keiner, und die, die es glauben, die verstehen es nicht, aus den verschiedensten gründen, "du erzählst immer so tolle geschichten" ist noch das positivste was man zu hören bekommt.
ein paar wenige finden sich vielleicht, denen braucht man aber nichts erklären, die wissen das sowieso.
und irgendwann geraten deshab alle diese geschichten in vergessenheit, werden nur mehr als hirngespinste und wichtigtuerei oder was auch immer gesehen, und dann hört man auf darüber zu reden, obwohl man es ja sowieso schon nur sehr selten gewagt hat. dabei sind da noch so viele fragen und antworten offen, und dann liegt einem das alles wie ein wackerstein im magen. was ist eigentlich in dem anderen vorgegangen? was hat der sich gedacht, wie ging es dem dann anschliessend? was ist weiter geschehen? kann man aber nix tun, es ist wie es ist, und helfen kann einem ja eigentlich auch niemand. und dann hört man auf, allzu oft daran zu denken, um die eigene seele zu retten, es ist wie es ist, und die geschichte verschwindet irgendwo im ureigensten geistigen datennirvana. haben ja alle überlebt, man lebt auf keinem leuchtturm, und andere menschen haben auch probleme, manche sogar jede menge davon.
irgendwann läutet dann das telefon, am hellichten nachmittag, und man ist in gedanken aber auch schon sehr konzentriert in einer ganz anderen welt. also überlegt man, ob man - wenn am display eine völlig unbekannte lange nummer angezeigt wird - überhaupt abheben soll oder will. aus einem unerfindlichen grund und wider die gewohnheit hebt man dann aber ab. leicht unwillig, aber doch.
am anderen ende der leitung ist jemand, der einen genau befragt ob man denn frau kelef sei, was man guten gewissens bejahen kann, und dann sagt dieser jemand er würde jetzt verbinden, und man wundert sich, und dann hört man eine stimme die da sagt:
"hallo, frau kelef? hier ist k.. kannst du dich noch erinnern?"
und wie aus der pistole geschossen sagt man nach einem kurzen luftschnapper:
"natürlich. familienname. natürlich kann ich mich erinnern."
und dann sagt k.:
"ich bin in wien."
"in wien?"
"ja. ich habe doch gesagt, wenn ich nach wien komme, melde ich mich."
"du bist das erste mal in wien?"
"natürlich das erste mal. sonst hätte ich mich ja schon früher gemeldet."
ja nee, is klar. waren ja auch erst 17 (in worten: siebzehn) jahre vergangen seit wir uns das letzte mal gehört hatten. 18 (in worten: achtzehn) seit wir uns das letzte mal gesehen hatten. klar war k. das erste mal in wien. sonst hätte er sich doch schon früher gemeldet.
am vortag sei er angekommen, um ein paar tage hier zu arbeiten, höchst unvorhersehbar, meine festnetznummer habe er zwar (natürlich) immer noch, aber die sache mit der alten vorwahl, aus alten zeiten noch, nun ja. aber die adresse kannte er immer noch auswendig, im büro der firma für die er arbeitete hatten die dann im internetz die nummer des praktischen gefunden. (merke: wiener können auch freundlich, hilfsbereit und menschlich sein. ausnahmen bestätigen die regel.).
die telefonnummer war also gefunden, der kontakt hergestellt, die erinnerung war vorhanden, am abend wollten wir noch einmal telefonieren, haben uns anschliessend auch gleich getroffen und nun ja, alt sind wir geworden.
k.: und wie geht es dir so?
ich: alt bin ich geworden.
k.: ich doch auch. ich hab jetzt auch eine brille.
ich: ich bin schon so alt, ich hab jetzt schon wieder keine mehr.
k.: das hab ich auch bald geschafft.
flaxen geht also auch noch.
und so, wie es einem bei einigen ganz wenigen menschen im leben geht, sind das vertrauen und die vertrautheit immer noch da, ebenso wie das miteinander reden können, das miteinander lachen können, das miteinander trinken können bis in die puppen ohne betrunken zu sein.
am sopron-trauma kränkeln wir auch beide immer noch. nach rücksprache mit diversen sachkundigen personen haben wir die tatsache, dass der "ausflug" richtung grenze keine folgen für k. gehabt hat, als eine art welpenschutz bezeichnet. die ungarn, wie schon erwähnt, waren nicht unbedingte freunde des kommunismus und seiner folgeerscheinungen, und haben damals offensichtlich ein paar dinge nur mit äusserster verzögerung oder einfach in die "falsche" richtung weitergeleitet - weil sonst, aber oha. aber das hatten wir ja schon vor 17 jahren begackert, warum ist das alles noch so frisch und gegenwärtig? ist doch eigentlich nix passiert, damals, und uns ist auch nix passiert, in der folge.
trotzdem: zwei verlorene jahre für k.. was man damit hätte anfangen können.
was wirklich geschehen war? unspektakulär, eigentlich. auf der insel gearbeitet, kohle gemacht, gut gelebt, ein wenig herumgekommen, dann wieder nach deutschland: die zeiten ändern sich. nicht reich (aber das war ja auch nicht eigentlicher sinn und zweck der übung) aber mit viel mehr zurückgekommen als hingekommen, auch das ist ja aber schon ein erfolgsbericht, so gut wie alle anderen kommen mit schulden und zerbrochen an leib und seele wieder an.
die versprochene ansichtskarte, wurde berichtet, sei gekauft worden, und immer noch auf halde. kenn ich ja von wo.
wenn man aber so sitzt, und redet, und sich erinnert, da erinnert man sich an viele andere dinge die passiert sind eben auch.
mein neffe, meinte k., der glaubt ja viele geschichten gar nicht, oder sie interessieren ihn nicht. der hält das alles für übertreibung und wichtigtuerei.
das ist das alter, sag ich, das interesse kommt dann später. war bei meiner tochter auch so, da braucht man geduld.
aber wer soll das dann erzählen?
eben. darum sag ich ja immer schon, man muss das aufschreiben, sonst geht es verloren.
die geschichte von der bekanntschaft aus ungarn wollte ich ja schon sehr lange aufschreiben, aber irgendwie hab ich immer so einen bammel wenn ich nicht wirklich autorisiert werde sowas zu tun, und dann hatte die geschichte ja auch kein anständiges ende.
sowas sind ja nicht nur meine geschichten, sondern die geschichten vieler anderer menschen ebenso, also muss da schon ein wenig nachgedacht werden.
diese eine geschichte aber, die durfte ich aufschreiben, ich habe gefragt und die erlaubnis bekommen, ganz ausdrücklich. und beim reden sind so ein paar andere erinnerungen auch wieder aus dem geistigen datenfundus aufgetaucht, und weil die ja auch keiner mehr glaubt ausser denen, die sie selber erlebt haben und also für normal und gar nicht berichtenswert halten, da werde ich ein paar von diesen geschichten eben auch aufschreiben. demnächst in diesem theater. nicht deswegen, weil sie aussergewöhnlich oder dramatisch oder gefährlich oder blutrünstig sind, sondern weil es ganz normale geschichten aus dem alltag sind - die auch keiner glaubt, im moment. wenn aber noch einmal ein vierteljahrhundert vergeht, dann wird keiner mehr da sein der sich daran erinnert.
manchmal, wenn man nicht vorsichtig genug ist mit sich selbst, da bekommen solche erlebnisse, die vor langem passiert sind, so eine art eigenleben, tief innerlich in einem selber.
natürlich kann man sich genau daran erinnern. denkt man zurück, oder - noch schlimmer - denkt man darüber nach, dann sind einzelne szenen so lebendig und präsent als wäre man gerade eben mittendrin.
gänseleber in madeira habe ich seither oft gegessen, in verschiedenen ländern. aber nie hatte sie diesen besonderen beigeschmack der erwartung, der angst, der hoffnung, den nachgeschmack der hoffnungslosigkeit. aber immer hatte gänseleber in madeira eine besonderheit für mich, die ich nie hätte beschreiben können, nicht gut, nicht schlecht: ganz besonders, eben.
auch in sopron war ich seither schon sehr oft. nie hat diese kleine stadt so ausgesehen wie an diesem einen tag, nie war die luft so spannungsgeladen, nie der himmel so, wie soll ich sagen: himmelfarben.
der bahnhof der kleinen stadt hat sich seither nicht wirklich verändert, das restaurant schon, aber ich könnte es heute noch aufzeichnen, besonders den abgestuften plafond mit den kleinen spots drinnen, von denen immer ein paar mehr abgeschaltet wurden als es später und später wurde, an diesem einen tag.
und wie lange eine minute sein kann, oder viele minuten, wie sie sich summieren und subsummieren und immer länger werden. das wünscht man auch niemanden, solche erfahrungen.
wie dem auch immer sein mag. aber dann versuchen sie doch einmal, mit jemandem über solche erfahrungen zu sprechen. niemand, aber auch gar niemand wird ihnen das gefühl vermitteln dass sie ernst genommen werden. unverständnis, bewunderung, erstaunen, ungläubigkeit, verarsche, ein spektrum an reaktionen, und irgendwann denken sie dann, wtf, zu was erzähl ich das. glaubt ja sowieso keiner, und die, die es glauben, die verstehen es nicht, aus den verschiedensten gründen, "du erzählst immer so tolle geschichten" ist noch das positivste was man zu hören bekommt.
ein paar wenige finden sich vielleicht, denen braucht man aber nichts erklären, die wissen das sowieso.
und irgendwann geraten deshab alle diese geschichten in vergessenheit, werden nur mehr als hirngespinste und wichtigtuerei oder was auch immer gesehen, und dann hört man auf darüber zu reden, obwohl man es ja sowieso schon nur sehr selten gewagt hat. dabei sind da noch so viele fragen und antworten offen, und dann liegt einem das alles wie ein wackerstein im magen. was ist eigentlich in dem anderen vorgegangen? was hat der sich gedacht, wie ging es dem dann anschliessend? was ist weiter geschehen? kann man aber nix tun, es ist wie es ist, und helfen kann einem ja eigentlich auch niemand. und dann hört man auf, allzu oft daran zu denken, um die eigene seele zu retten, es ist wie es ist, und die geschichte verschwindet irgendwo im ureigensten geistigen datennirvana. haben ja alle überlebt, man lebt auf keinem leuchtturm, und andere menschen haben auch probleme, manche sogar jede menge davon.
irgendwann läutet dann das telefon, am hellichten nachmittag, und man ist in gedanken aber auch schon sehr konzentriert in einer ganz anderen welt. also überlegt man, ob man - wenn am display eine völlig unbekannte lange nummer angezeigt wird - überhaupt abheben soll oder will. aus einem unerfindlichen grund und wider die gewohnheit hebt man dann aber ab. leicht unwillig, aber doch.
am anderen ende der leitung ist jemand, der einen genau befragt ob man denn frau kelef sei, was man guten gewissens bejahen kann, und dann sagt dieser jemand er würde jetzt verbinden, und man wundert sich, und dann hört man eine stimme die da sagt:
"hallo, frau kelef? hier ist k.. kannst du dich noch erinnern?"
und wie aus der pistole geschossen sagt man nach einem kurzen luftschnapper:
"natürlich. familienname. natürlich kann ich mich erinnern."
und dann sagt k.:
"ich bin in wien."
"in wien?"
"ja. ich habe doch gesagt, wenn ich nach wien komme, melde ich mich."
"du bist das erste mal in wien?"
"natürlich das erste mal. sonst hätte ich mich ja schon früher gemeldet."
ja nee, is klar. waren ja auch erst 17 (in worten: siebzehn) jahre vergangen seit wir uns das letzte mal gehört hatten. 18 (in worten: achtzehn) seit wir uns das letzte mal gesehen hatten. klar war k. das erste mal in wien. sonst hätte er sich doch schon früher gemeldet.
am vortag sei er angekommen, um ein paar tage hier zu arbeiten, höchst unvorhersehbar, meine festnetznummer habe er zwar (natürlich) immer noch, aber die sache mit der alten vorwahl, aus alten zeiten noch, nun ja. aber die adresse kannte er immer noch auswendig, im büro der firma für die er arbeitete hatten die dann im internetz die nummer des praktischen gefunden. (merke: wiener können auch freundlich, hilfsbereit und menschlich sein. ausnahmen bestätigen die regel.).
die telefonnummer war also gefunden, der kontakt hergestellt, die erinnerung war vorhanden, am abend wollten wir noch einmal telefonieren, haben uns anschliessend auch gleich getroffen und nun ja, alt sind wir geworden.
k.: und wie geht es dir so?
ich: alt bin ich geworden.
k.: ich doch auch. ich hab jetzt auch eine brille.
ich: ich bin schon so alt, ich hab jetzt schon wieder keine mehr.
k.: das hab ich auch bald geschafft.
flaxen geht also auch noch.
und so, wie es einem bei einigen ganz wenigen menschen im leben geht, sind das vertrauen und die vertrautheit immer noch da, ebenso wie das miteinander reden können, das miteinander lachen können, das miteinander trinken können bis in die puppen ohne betrunken zu sein.
am sopron-trauma kränkeln wir auch beide immer noch. nach rücksprache mit diversen sachkundigen personen haben wir die tatsache, dass der "ausflug" richtung grenze keine folgen für k. gehabt hat, als eine art welpenschutz bezeichnet. die ungarn, wie schon erwähnt, waren nicht unbedingte freunde des kommunismus und seiner folgeerscheinungen, und haben damals offensichtlich ein paar dinge nur mit äusserster verzögerung oder einfach in die "falsche" richtung weitergeleitet - weil sonst, aber oha. aber das hatten wir ja schon vor 17 jahren begackert, warum ist das alles noch so frisch und gegenwärtig? ist doch eigentlich nix passiert, damals, und uns ist auch nix passiert, in der folge.
trotzdem: zwei verlorene jahre für k.. was man damit hätte anfangen können.
was wirklich geschehen war? unspektakulär, eigentlich. auf der insel gearbeitet, kohle gemacht, gut gelebt, ein wenig herumgekommen, dann wieder nach deutschland: die zeiten ändern sich. nicht reich (aber das war ja auch nicht eigentlicher sinn und zweck der übung) aber mit viel mehr zurückgekommen als hingekommen, auch das ist ja aber schon ein erfolgsbericht, so gut wie alle anderen kommen mit schulden und zerbrochen an leib und seele wieder an.
die versprochene ansichtskarte, wurde berichtet, sei gekauft worden, und immer noch auf halde. kenn ich ja von wo.
wenn man aber so sitzt, und redet, und sich erinnert, da erinnert man sich an viele andere dinge die passiert sind eben auch.
mein neffe, meinte k., der glaubt ja viele geschichten gar nicht, oder sie interessieren ihn nicht. der hält das alles für übertreibung und wichtigtuerei.
das ist das alter, sag ich, das interesse kommt dann später. war bei meiner tochter auch so, da braucht man geduld.
aber wer soll das dann erzählen?
eben. darum sag ich ja immer schon, man muss das aufschreiben, sonst geht es verloren.
die geschichte von der bekanntschaft aus ungarn wollte ich ja schon sehr lange aufschreiben, aber irgendwie hab ich immer so einen bammel wenn ich nicht wirklich autorisiert werde sowas zu tun, und dann hatte die geschichte ja auch kein anständiges ende.
sowas sind ja nicht nur meine geschichten, sondern die geschichten vieler anderer menschen ebenso, also muss da schon ein wenig nachgedacht werden.
diese eine geschichte aber, die durfte ich aufschreiben, ich habe gefragt und die erlaubnis bekommen, ganz ausdrücklich. und beim reden sind so ein paar andere erinnerungen auch wieder aus dem geistigen datenfundus aufgetaucht, und weil die ja auch keiner mehr glaubt ausser denen, die sie selber erlebt haben und also für normal und gar nicht berichtenswert halten, da werde ich ein paar von diesen geschichten eben auch aufschreiben. demnächst in diesem theater. nicht deswegen, weil sie aussergewöhnlich oder dramatisch oder gefährlich oder blutrünstig sind, sondern weil es ganz normale geschichten aus dem alltag sind - die auch keiner glaubt, im moment. wenn aber noch einmal ein vierteljahrhundert vergeht, dann wird keiner mehr da sein der sich daran erinnert.
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