Freitag, 20. Dezember 2013
ganz und gar keine Weihnachtsgeschichte II/VI
Und dann hatten sie noch einen gemeinsamen Traum: Madagaskar, drei Monate sollten es werden, mindestens. Zielstrebig, wie die beiden waren, machten sie sich an die Verwirklichung. Erst wurde gespart, dann gerechnet, dann geplant. Die T. lernte sicherheitshalber ein wenig Madegassisch, damit sie sich frei bewegen könnten und nicht auf irgendwelche Touristenfallen angewiesen sein würden. Und dann kam die Abreise immer näher, was sollte noch passieren? Der S. zahlte alles, was im Voraus zu bezahlen war, aber eine Reisestornoversicherung drei Tage vor der Abreise?

Der S. ging noch einmal arbeiten, zum Gerüstbau, und irgendwer hatte einen Haken vergessen und der S. fiel 14 Meter in die Tiefe, mitsamt ein paar Gerüstteilen, und weil er „so ein dürrer Hund“ war und so ein starker Wind wehte, da vertrug es ihn und er landete nicht unter den Gerüstteilen, sondern ein Stück entfernt und war nicht tot, sondern hatte nebst den entsprechenden Prellungen und Rippenbrüchen nur eine zersplitterte Ferse und ein paar gebrochene Wirbel. Und eine Querschnittlähmung.

Mit letzterer lag der S. dann ein halbes Jahr im Krankenhaus, wurde alles mehrfach operiert, die Rippen wuchsen ohne weiteres Aufsehen wieder zusammen, die Fersenknochen waren verschraubt, nur das mit der Beweglichkeit der Beine dauerte, die Ärzte waren sich auch länger nicht sicher ob das überhaupt noch was werden würde.

Die T. war, so oft sie konnte, bei ihm im Krankenhaus. Half ihm, sprach ihm Mut zu, werde schon alles wieder werden. Wurde auch.

Nur die Schmerzen, die blieben. Die Schrauben, die die Ferse zusammenhielten, wuchsen aus dem Knochen heraus, alles entzündete sich, eine Operation nach der anderen. Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen, alles tat weh. Medikamente waren dem S. seines nicht so, das musste doch irgendwie, er wollte ja auch wieder arbeiten gehen, er war ja noch jung. Die T., in der Zwischenzeit, hatte auch keinen Job mehr.

Irgendwie ging es dann doch. Die T. konnte ich für einige Zeit bei mir in der Firma unterbringen, den S. dann auch, allerdings nur befristet, der Job war sowieso nicht so seines, und die nächste Operation stand auch auf dem Plan.

Dann fand ich für T., die in der Zwischenzeit schon fast in Pension war, einen anderen Job, und alles war soweit ganz gut. Nur der S., der machte Sorgen. Er bekam zwar eine Unfallrente und irgendwelche Sozialunterstützungen, aber davon konnte er nicht leben, und es musste ja weitergehen. Irgendwie fand sich immer wieder was, er war ja ein begnadeter Bastler, und, wie die T. immer sagte, er konnte sehr logisch dabei denken, aber das war keine Zukunft so.

In der Zwischenzeit war er schon bald 40 Jahre alt, Halbinvalide, das Arbeitsamt lehnte jeden Wunsch nach einer Ausbildung als Gärtner, Tierpfleger, was auch immer den S. interessierte, ab, aus Gründen. Irgendwas mit Computern, das interessierte ihn auch: abgelehnt. Also begann der S., der Ex-Sonderschüler, im zarten Alter von 40 eine Ausbildung zum Mechatroniker. Sollte ein paar Jahre dauern. Schaffte er auch ohne weitere Schwierigkeiten, weil siehe oben: blöd war er nicht.

Und weil zu so einer Ausbildung ja auch ein Praktikum gehört, da hat ihn die Firma, bei der das machte, dann gleich fix übernommen, denn: der S. war zwar ein ruhiger, aber dafür ein umso verlässlicherer und anständigerer Zeitgenosse.

Puh, denkt man, alles noch mal gut gegangen. In der Wohnung waren die letzten Baustellen bereinigt: eine funkelnagelneue Küche (DAN, Massivholz, maßgefertigt, an die 12 oder 15 Laufmeter), das Badezimmer neu in schwarz mit weiß (Wanne, Dusche, Bidet, alles mit Glaswänden und tollen Armaturen), ein Hochbett mit beleuchteter Freitreppe und Wasserbett obendrauf und Leseecke unten drunter, ein begehbarer Riesenschrank, so, sagte die T., jetzt bleibt nix mehr zu wünschen übrig.

Dann ruft sie, die sich immer so gesund ernährt hatte, an, sie hätte immer wieder Magenschmerzen, das sei schon ziemlich bähhh, und kein gesunder Tee nütze nix nicht. T., sag ich, geh zum Doktor, mehr kann ich Dir da auch nicht sagen.

War dann Diagnose Magenkrebs, ein paar Wochen später ist sie operiert worden. Was auch immer da passiert sein mag: die Wunde wollte nicht zuheilen, es bildete sich eine Eitertasche, nein, alles ok, sagten die Ärzte, keine Chemo notwendig, haben wir alles erwischt. Nur die Sache mit der Wunde, das werde aber schon werden. Nun hatte der S. also einen Job, und daneben die T., die immer weniger wurde. Alleine ins Krankenhaus schaffte sie es nicht, also ging der Urlaub des S. halbtageweise drauf, aber die Chefs mochten ihn und verstanden das alles. Und es wurde nach über einem halben Jahr, in dem der S. regelmäßig die Drainagen reinigte, Verband wechseln lernte, und der T. beim Waschen helfen musste, tatsächlich wieder gut.

Die T. hatte immer wieder davon gesprochen, dass sie es regeln wolle damit dem S., sollte mit ihr „was sein“, alles bliebe, denn was in der Wohnung sei, das hätten sie ja im Wesentlichen gemeinsam geschaffen. Der S. wollte davon nie was hören.

T., sagte ich immer wieder, ich weiß schon dass dir das zu bürgerlich und überhaupt ist, aber: du kennst die unlustigen Gesetze dieses Landes genauso gut wie ich, also bitte: heiratet, und gut. Na ja, aber, und dann, … Na was, sagte ich, heiratet, das ist die einfachste Lösung. Ich war die Trauzeugin des S., übrigens, der T. hatte das mit dem Krebs doch zu denken gegeben. Die Hochzeitsreise machten sie dann, ganz bürgerlich, nach Venedig. Der S. allerdings, der sagte, wenn die T. nicht mehr da sei, dann sei sein Leben sowieso nix mehr wert, ohne sie, und ohne sie brauche er auch das alles nicht. S., sagte ich, das will die T. aber auch nicht hören. Da war er dann still, und hat mich nur angeschaut.

Es dauerte nicht lange, da war bei einer Kontrolle der Tumormarker bei der T. wieder in lichten Höhen. Und sie litt ziemlich an Reflux. Was das heißen sollte, das könnten sie nicht so genau sagen, sagten die Ärzte. Mich hat sie gefragt, aber der S. hat es gespürt, und mich nur angeschaut. Und ich hab die zwei angeschaut, hier bei mir im Wohnzimmer. Was soll man dazu auch sagen?

Ein Arzt hat der T. dann gesagt, das sei alles nicht so schlimm, da könne man mit einer kleinen Operation, und so. War natürlich nicht so, drei Wochen später war sie tot, das war im November vor fünf Jahren. Bei der Operation ein paar kleine Schlaganfälle, teilweise Lähmungen, keine Haare mehr, schwere Ödeme, bettlägerig, Metastasen im ganzen Körper, an Schläuchen hängend: sie wollte von niemandem mehr besucht werden, außer vom S., der jeden Tag nach der Arbeit zu ihr kam.

Begräbnis gab es keines, die T. und der S. hatten ihre Körper schon lange der Anatomie vermacht.

S., sagte ich, wenn ich was tun kann, wenn ich dir helfen kann, brauchst was, willst was, nein, sagte er immer wieder, geht schon. Sie ist nicht mehr da, aber sie hat mir noch alles aufgeschrieben was ich tun muss.

Immerhin bekam er – befristet – eine kleine Witwerrente, sie waren einfach nicht lange genug verheiratet gewesen, aber die Wohnung und alles darin blieb ihm. Ein Mausoleum. Finanziell ging es sich irgendwie aus.

tbc.

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Uff. Was für eine wunderbare, schreckliche Geschichte.
Gut, daß wir nie wissen, was kommt; wir würden sonst ja überhaupt nichts wagen.

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die Geschichte geht weiter ...

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Oh. Oh ... Ich wappne mich.

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Oh je, schon ab einem der oberen Abschnitte in diesem Textteil ahnte ich, was kommt. Irgendwo hatte ich die Geschichte schon mal gehört ...

Ich bin gespannt auf die Fortsetzungen, die ich wohl ein bisschen auch kenne. (Je. Oh.)

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